Diskriminierung melden
Suchen:

...UND WIEDER DER OSKAR. Und wieder ein Austritt, eine neue Gruppe, eine Oskar-Rede

Foto: H.S.

21.03.2022 - von Thiess Gleis, Volkmar Schulze, Sören Pellmann, Oskar Lafontaine

Zehn Tage vor den Landtagswahlen im Saarland hat Oskar Lafontaine seinen Austritt aus der LINKEN erklärt. Neben den nicht gerade profund belegten Behauptungen, die LINKE wäre keine Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens mehr, sind es vor allem persönliche Befindlichkeiten, die ihn zum Austritt veranlassten: Ein Ausschlussantrag gegen ihn wegen seines Aufrufes, nicht die LINKE zu wählen, Verbitterung gegenüber dem Parteivorstand in Berlin, der nicht so in den Selbstzerlegungsprozess des Landesverbandes Saarland der LINKEN eingreifen wollte, wie Oskar es gewünscht hat.
Zu diesen Befindlichkeiten passt dann auch das Timing kurz vor der Wahl. Wenn schon dreckig, dann richtig.

Noch vor zehn Jahren, auf dem Parteitag in Göttingen hatte Oskar in einer fulminanten Rede Gregor Gysi, der damals von Spaltung schwadronierte, vorgehalten, dass eine Partei nicht wegen Befindlichkeiten verlassen oder gar gespalten werden darf.
Nun verlässt er die LINKE und einen Landesverband, der möglicherweise am Wahltag die finale Quittung dafür erhält, was Oskar Lafontaine selbst lange Zeit maßgeblich mit ausgelöst und zu verantworten hatte. Eine linke Partei nur als Wahlverein und Claqueursgemeinschaft für die Parteielite aufzubauen, wird zwangsläufig scheitern. Seine eigenen Truppen haben sich von ihm abgewandt und er jetzt von ihnen.

Oskar war wichtiger Motor bei der Gründung der LINKEN. Nicht so sehr wegen seiner programmatischen Ideen und Vorgaben, sondern vor allem wegen seiner Haltung.
Das Programm der WASG und der damaligen PDS war von der Massenbewegung gegen die Agenda 2010 Politik der Schröder-Regierung und der Kritik an der zunehmenden Militarisierung im Zuge des Balkankrieges geprägt. Oskar trat dafür mit seiner rhetorischen Brillanz und seiner langjährigen Erfahrung in der "großen Politik" ein.

Entscheidend war aber, dass er 2005 aus der SPD austrat und sich für einen Neuaufbau einer linken Partei aussprach. Das war das wichtige Signal, dass eine neue linke Partei in Deutschland nur durch einen Bruch mit der SPD entstehen wird. Nur dieser Bruch konnte die Hoffnung "auf eine neue soziale Idee" bei vielen Enttäuschten und von der realen Politik geschädigten Menschen auslösen. Eine neue Partei entsteht nicht durch geräuschloses Dazulernen der alten Parteien, sondern mit lautem Getöse oder gar nicht.

Das zweite Verdienst von Oskar besteht darin, dass er darauf pochte, diese neue linke Partei ausgerechnet mit der PDS, dem Schmuddelkind der deutschen Geschichte, den Resten der Staatspartei SED, der ihr Staat abhanden gekommen war, zusammen aufzubauen. Dadurch wurde die neue linke Partei die erste wirklich gesamtdeutsche Partei und Hoffnungsträgerin auch im Osten, wo die PDS aufgrund verheerender Anpassung und opportunistischer Regierungsbeteiligung gerade ihren langen Sterbeprozess startete.

Oskar hatte immer auch reaktionäre und schräge Positionen. Seine Haltung zur Migrationsfrage ist rechts anschlussfähig. Seine Kritik an der Windenergie falsch und gegenüber der Klimagerechtigkeitsbewegung verstörend. Seine - gerade wieder in seiner Abschiedsrede im saarländischen Landtag vorgetragene - Position für eine deutsch-französische Verteidigungsgemeinschaft ist nur schräg.

Hier ist es das Verdienst der LINKEN als Partei, dass sie Oskar diese Flausen zumindest zeitweilig austrieb.

Der 2007 gegründeten LINKEN wurde durch einen zähen, von alten SPD- und SED-Bürokratietraditionen geprägten Gründungsprozess schon viel von diesem Anfangszauber genommen.
Aber die tiefe Krise des Weltkapitalismus 2007-2009 verschaffte der LINKEN bei ihrem ersten eigenständigen Wahlantritt ein formidables Ergebnis von fast zwölf Prozent.

Von diesem Anfangserfolg erholte sich die neue linke Partei leider nicht. Mit Macht drängten sich die alten reformistischen Politikkonzepte, die sowohl die SPD als auch die PDS bis 2004 zugrunde richteten, wieder in den Vordergrund. Die ganze Welt sprach von einer Zukunft jenseits des Neoliberalismus und Kapitalismus - nur die LINKE weigerte sich angesichts der Krise die Systemfrage zu stellen. Auch Oskar tat dies nicht, der maßgeblich daran beteiligt war, die Partei und Fraktion der LINKEN zu normalisieren und zu einer der üblichen am Berliner Politikgeschäft beteiligten Parteien zu machen.

Die Geschichte gab immer wieder neue Chancen für die LINKE frei: Nach der Finanzkrise kam 2011 die Katastrophe in Fukushima, die das Energiekonzept der herrschenden Klasse durcheinander würfelte.
Es folgten der arabische Frühling und die folgenden furchtbaren Weltneuordnungskriege in Libyen, Syrien, Afghanistan, Irak usw.. Danach die "Flüchtlingskrise" von 2015 und in den letzten Jahren die "Corona-Krise".
Und die ganze Zeit dazu die sich beschleunigende Klimakrise, die alle anderen Fragen umschloss und neu stellte.

Und jetzt die Mutter aller Krisen schlechthin: Ein drohender neuer Weltkrieg.
Doch immer wieder zeigte sich: Die LINKE kann nicht Krise.
Sie will die Systemfrage nicht stellen, obwohl die gesellschaftlichen Verhältnisse und auch eine durchaus aktive und drängende junge Generation es immer wieder verlangten.

Stattdessen verselbständigte sich in der LINKEN immer mehr ein berufspolitischer Funktionärskörper, der sich entlang dreier allesamt irreal sozialdemokratischer Politikmodelle einen Konkurrenzkampf und ein Fegefeuer der Eitelkeiten leistete:
Erstens eine fast zynische Truppe, die unbedingt gemeinsame Regierungsgeschäfte mit der SPD und den GRÜNEN beginnen will, völlig egal wer in den beiden Parteien das Sagen hat oder was die programmatischen Inhalte sind.
Zweitens eine verträumte Truppe, die das gleiche anstrebt, aber das nur durch eine veränderte SPD und GRÜNE erreichen will. Sie säuft sich die kleinsten Regungen der Hartz-IV-Parteien deswegen unermüdlich schön.
Und drittens die Wagenknecht und Lafontaine-Anhänger:innen, die eine SPD 2.0 aufbauen wollen, die an den jetzigen Parteieliten von SPD und GRÜNEN vorbei, durch eine neue "Sammlungsbewegung" hinter populistisch-prominenten Leitfiguren entstehen soll.

Nichts am Hut haben alle drei Konzepte mit einer aktivistischen Mitgliederpartei, die sich real in Klassenkämpfen verankert und die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nachhaltig verändern will. Im Mittelpunkt stehen bei allen drei Konzepten vor allem Wahlkämpfe und mediales Politikprofigetue.
Für reale Politik und Mobilisierung oppositioneller Bewegungen, die eine angemessene Antwort auf die Krisen des Kapitalismus geben und die Systemfrage stellen können, reicht keines dieser drei Konzepte - dafür umso mehr für Eifersüchteleien, Pöstchengeschacher und Intrigen.
Oskar ist jetzt auch Opfer solcher Prozesse geworden, aber er hat diese mit ermöglicht und sich schon gar nicht gegen sie gestellt. Das alles ist bitter, und übertönt die Verdienste von Oskar Lafontaine bei dem Neuformierungsprozess der politischen Linken, aber völlig verdrängen können sie sie nicht.
Thies Gleis auf facebook zu Oskar Lafo..s Austritt.

Austrittserklärung
Volkmar Schulze: Heute bin ich aus der Partei Die Linke ausgetreten. Hier meine Erklärung:

Die Linke wurde gegründet, um den Sozialabbau und die Lohndrückerei der Agenda 2010 rückgängig zu machen. Außerdem sollte nach der Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg und am Krieg in Afghanistan eine neue Kraft entstehen, die sich wieder konsequent für Frieden und Abrüstung und die Beachtung des Völkerrechts einsetzt.

Mit einer an diesen Zielen ausgerichteten Politik erreichten wir bei der Bundestagswahl 2009 11,9 Prozent und zogen in die Bürgerschaften Bremens und Hamburgs sowie in die Landtage von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland ein.

Spätestens 2015 allerdings begann die damalige Parteiführung der Linken, den politischen Kurs zu verändern. Im Zuge dessen wandelte sich die Linke allmählich zu einer Partei, die ähnliche Ziele verfolgt und sich um dasselbe Wählermilieu bemüht wie die Grünen. In der Folge wandten sich viele Arbeitnehmer und Rentner ab, gingen zurück zur SPD, wurden Nichtwähler oder stimmten aus Protest für die AfD oder sonstige Parteien.
Bei der letzten Bundestagswahl wählten gerade noch 5 Prozent der Arbeiter die Linke. Es ist nicht mehr zu übersehen: Normal- und Geringverdiener oder auch Rentner fühlen sich von der Partei nicht mehr vertreten.

Nach dem sozialen Profil sollen jetzt auch noch die friedenspolitischen Grundsätze der Linken abgeräumt werden.

Der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine wird dabei zum Anlass genommen. Am Morgen der Sondersitzung des Bundestags, auf der Kanzler Scholz sein gigantisches Aufrüstungsprogramm verkündete, plädierten der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Gregor Gysi, die Parteivorsitzende Hennig-Welsow und andere Fraktionsmitglieder dafür, dem Antrag der Regierung zuzustimmen, der sich für steigende Rüstungsausgaben und umfassende Waffenlieferungen an die Ukraine aussprach. Sie konnten sich damit zum Glück nicht durchsetzen. Unmittelbar danach wurde aus dem Parteivorstand heraus öffentlich angekündigt, dass diejenigen, die für den sozialen und friedenspolitischen Gründungskonsens der Linken stehen, namentlich auch ich, aus der Partei gedrängt oder ausgeschlossen werden sollen. Passend dazu hat mir die Bundesschiedskommission mitgeteilt, dass das gegen mich laufende Parteiausschlussverfahren ausgerechnet an die Berliner Landesschiedskommission abgegeben und von ihr entschieden werden soll.

Die schleichende Änderung des politischen Profils der Linken ist die Ursache der vielen Wahlniederlagen.
Im Saarland ließ die Bundespartei seit Jahren zu, dass ein Betrugssystem installiert wurde, bei dem auf der Grundlage manipulierter Mitgliederlisten Bundestags- und Landtagsmandate vergeben werden. Ein normales Parteimitglied, das nicht in das Betrugssystem eingebunden ist, hat keine Chance, ein Mandat zu erhalten.

Ich habe einst die SPD verlassen, weil sie zu einer Partei geworden war, die im Gegensatz zur Tradition der Sozialdemokratie Willy Brandts Niedriglöhne förderte, Renten und soziale Leistungen kürzte und die Beteiligung der Bundeswehr an völkerrechtswidrigen Kriegen unterstützte. Ich wollte, dass es im politischen Spektrum eine linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit gibt, deshalb habe ich die Partei Die Linke mitgegründet. Die heutige Linke hat diesen Anspruch aufgegeben.

Einer Partei, in der die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner und eine auf Völkerrecht und Frieden orientierte Außenpolitik nicht mehr im Mittelpunkt stehen und die zudem das im Saarland etablierte Betrugssystem unterstützt, will ich nicht mehr angehören.
Volkmar Schulze


Gruppenbildung
Wir brauchen uns gegenseitig. Die Linke und der Osten: Nach Wahldebakeln neue Landesgruppe in der Fraktion. Ein Gespräch mit Sören Pellmann, Vorsitzender der neuen Landesgruppe Ost der Bundestagsfraktion von Die Linke. Junge Welt unter: Link


Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - 63. Sitzung am 16. Februar 2022
Rede von Oskar Lafontaine:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich habe mich erst jetzt zu Wort gemeldet, weil ich auf die Argumente der Kolleginnen und Kollegen eingehen und ergänzende Bemerkungen machen möchte. Ich stimme mit vielen Aussagen überein, die hier gemacht worden sind. Das möchte ich auch als jemand sagen, der seit 50 Jahren auf diesem Gebiet tätig ist und sich immer für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich und für die Zusammenarbeit der Saarregion mit anderen europäischen Ländern engagiert hat. Es ist gut, dass alle Fraktionen in diesem Haus sich einig sind, dass wir den Weg weitergehen sollen, Europa zu fördern, das gemeinsame europäische Haus zu bauen.

Ich möchte ergänzend zu dem, was gesagt worden ist, einen Akzent auf den Bereich der Kultur setzen.

Es wird oft über die Bedeutung des Handels geredet, und er hat eine große Bedeutung, aber nach meinen Erfahrungen ist doch die Kultur der Schlüsselbereich. Insofern haben Sie gut daran getan, Herr Kollege Roth, Jacques Lang zu zitieren, dem letztendlich dieses Zitat zuzuschreiben ist, das angeblich Monnet gesagt hat: „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen.“ -

Diese Feststellung ist von Dauer, denn ohne kulturelle Zusammenarbeit ist keine Verständigung möglich. Das ist meine Erfahrung und deshalb rate ich dazu, auch in Zukunft zuallererst das gegenseitige Verstehen auf dem Weg der Kultur zu versuchen. Es ist gut, dass unter anderem die deutsch-polnische Aussöhnung angesprochen wurde. Damit will ich anfangen. Ich freue mich, dass im Saarland seit langen Jahren eine Gesellschaft mit Erfolg daran arbeitet, diese Zusammenarbeit, diese Freundschaft zu pflegen, und zwar die Deutsch-Polnische Gesellschaft Saar. Ich will an dieser Stelle Hans Bollinger erwähnen, der vielen von Ihnen bekannt ist, der seit 40 Jahren daran arbeitet, die deutsch-polnische Versöhnung voranzutreiben. Er hat sich große Verdienste erworben und auch mir die Möglichkeit gegeben, etwa den Schriftsteller Szczypiorski an der Saar zu treffen, dessen berühmtes
Buch „Die schöne Frau Seidenman“ dem einem oder anderen bekannt sein möge. Bei einem
Abendessen hat sich mir mehr über Polen erschlossen als etwa bei einem Besuch, den ich vor
Jahrzehnten in Warschau machen konnte, als ich Kanzlerkandidat der Sozialdemokratischen Partei war.
Damals war die entscheidende Frage, ob der von General Jaruzelski verhängte Ausnahmezustand ein patriotischer Akt war, wie François Mitterrand es meinte, oder eben ein Akt selbstständiger Entscheidung, um jede demokratische Erneuerung in Polen zu unterdrücken. - Ich glaube, es ist auch aktuell, dass Mitterrand mit seiner Einschätzung Recht hatte, dass es von diesem General eher ein patriotischer Akt war. Aber dies wurde im Laufe der letzten Jahrzehnte anders bewertet. Entscheidend ist aber: Auf dem Wege der Kultur ist hier versucht worden, die deutsch-polnische Aussöhnung voranzutreiben. Das möchte ich dankbar festhalten.
(Vereinzelt Beifall bei der LINKEN.)

Ein weiterer Punkt, der in dieser Form bisher so nicht angesprochen wurde, deshalb habe ich mich im Wesentlichen zu Wort gemeldet, ist, dass für mich Russland ins europäische Haus gehört. Ich will es gerade in der heutigen Zeit sagen und berufe mich wieder auf die Kultur. In meinen Jugendjahren habe ich sehr früh versucht, mir die russische Kultur zu erschließen.

Dabei waren Dostojewski und Tolstoi meine Helden. Ich kann mir die europäische Literatur - ich könnte vieles dazu sagen - ohne diese beiden eigentlich gar nicht vorstellen. Sie sind für mich, auch wenn ich viele Werke in anderen Ländern sehe, wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur. Musik und anderes könnte ich auch erwähnen, aber die Zeit verbietet das. Ich glaube, wir sollten daran festhalten, dass Russland zum europäischen Haus gehört. Wenn es um die Vermeidung von Krieg und Frieden in Europa geht, dann sollten wir eben die alte Idee aufgreifen, die schon unter anderem Willy Brandt immer wieder vorgetragen hat: Wir brauchen eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur in Europa - unter Einschluss Russlands. Ich kann denen nur beipflichten, die hier gesagt haben: Frieden gibt es in
Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland. - Was hindert uns daran, einen gemeinsamen Weg zu suchen?
(Beifall bei der LINKEN.)

Ich selbst hatte das Glück, mehrfach Michail Gorbatschow zu begegnen. Ich habe ihn einmal im Saarbrücker Schloss empfangen. Ich stelle mir in diesen Tagen immer wieder die Frage, wie es ihm eigentlich gehen muss als demjenigen, der die Truppen aus der ehemaligen DDR, aber auch aus Osteuropa abgezogen hat, der diesen Weg der Öffnung Russlands durchgesetzt hat und jetzt sieht, vor welchem Ergebnis er steht. -

Ich halte ihn für einen großen Mann in der Geschichte der Weltpolitik, sehe aber auch sein tragisches Scheitern. Nicht zuletzt in Anbetracht der jüngeren Ereignisse - ich will das nur ganz kurz andeuten -, sondern auch im Hinblick auf das, was Gorbatschow für Deutschland getan hat, glaube ich, dass wir eine tiefe Verpflichtung empfinden müssen, einen gemeinsamen Weg und eine Zusammenarbeit mit Russland zu suchen.
(Beifall bei der LINKEN.)

Meine Damen und Herren, ich wollte die wirtschaftlichen Dinge nicht so sehr ansprechen, aber ich erinnere daran, dass das Saarland, die saarländische Industrie, immer noch intensive wirtschaftliche Beziehungen mit Russland hat. Es hat mich gefreut, als ich erfahren habe, dass etwa das saarländische Unternehmen Globus eine ganze Reihe von Märkten in Russland eröffnet hat. Ich glaube, diese Märkte, so platt es auch klingen mag, dienen dem Frieden, weil sie Begegnungen und Zusammenarbeit ermöglichen, von der ausgehend man einen gemeinsamen Weg finden kann.

Da einige der Redner China angesprochen haben, das Rivalisieren der Weltmächte USA, China und Russland miteinander, glaube ich, sagen zu müssen, dass es nicht klug ist, wenn die europäische Politik Russland zu sehr an die Seite Chinas treibt. Ich halte das nicht für klug. Ich halte es für sinnvoll, die nach wie vor ausgestreckte Hand zu ergreifen - eine Tradition Michail Gorbatschows, eine Tradition, die selbst Jelzin fortgeführt hat. Auch Putin hat sie fortgeführt; ich erinnere an die berühmte Rede im Deutschen Bundestag in deutscher Sprache, die jeder abrufen kann. Sie suchen das gemeinsame europäische Haus, wir sollten diese ausgestreckte Hand ergreifen und Russland nicht weiter in Richtung China abdrängen. Im Übrigen sind die Beteiligten imperiale Mächte und handeln nach den Gesetzen imperialer Mächte. Man darf sich nicht irren. Ich glaube, dass die Handlungsweise des einen von dem anderen sehr verschieden ist, ich könnte das jetzt lange ausführen.

Nun komme ich zu Frankreich. Auch hier nur eine Bemerkung: Eine der wichtigen Ereignisse in meinem politischen Leben war die Entscheidung, eine direkte Schnellzugverbindung zwischen Saarbrücken und Paris zu haben. Ich erinnere noch einmal dankbar daran, dass Helmut Kohl und François Mitterrand dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Auf dem Gipfel in La Rochelle war ich zufrieden, als mir von Helmut Kohl gesagt worden ist: Das läuft, das läuft. Er war ja immer kurz angebunden in seinen Äußerungen. Mitterrand sagte: „On va prendre sa décision“ (Man wird eine Entscheidung treffen). Da war mir klar, das Ding war durch, und ich konnte mit Jacques Lang, der heute schon erwähnt worden ist, in La Rochelle einen trinken gehen. Wäre ich erwischt worden, hätte die Boulevardpresse vielleicht gesagt: Anstatt auf dem Gipfel präsent zu sein, saß er da und trank Weißwein. - Für mich war aber entscheidend, dass die wichtigste Entscheidung für das Saarland in trockenen Tüchern war.
(Beifall von der LINKEN, der SAAR-LINKEN und bei der SPD.)

Ich komme nun zur Kultur. Mich hat ein Mann sehr geprägt, den ich hier für das deutsch-französische Verständnis in Erinnerung rufen will, nämlich Pierre Segui. Er hat im Saarländischen Rundfunk die Sendung „Chansons de Paris“ gemacht. Er war in der Résistance und hatte eigentlich einen deutschen Namen. Ich will nicht zu lange dabei verbleiben, er hat aber meine Jugendzeit und die von vielen Saarländerinnen und Saarländern geprägt, die, glaube ich, über das französische Chanson einen entscheidenden Zugang zur französischen Kultur gefunden haben. Um daran zu erinnern, wie es damals war -die Redezeit erlaubt mir das noch -, will ich eine kleine Begegnung erwähnen, die mir erzählt worden ist; ich war nicht Zeitzeuge: Als Pierre Segui in St. Arnual in der Kirche seine Hochzeit gefeiert hat, stand Johannes Kirschweng - der Wadgasser Schriftsteller, der wie kein anderer das
Lothringische, das Lotharingen zu seinem Thema gemacht hat - vor der Tür mit einer kleinen Kiste und einer Flasche unter dem Arm. In der Kiste befanden sich Austern, in der Flasche war Chablis. So war damals die französische Kultur ins Saarland gekommen. Stellen Sie sich diese Szene vor; sie sagt einiges darüber aus, wie es damals war.

Wenn ich über die Kultur spreche, dann will ich auch an die Städtepartnerschaften erinnern. Ich war in der glücklichen Lage, daran teilnehmen zu können. Die Städtepartnerschaften sollten immer stark gepflegt werden. Manchmal habe ich den Eindruck, man lässt nach. Mein Appell ist, diese Städtepartnerschaften weiter intensiv zu pflegen. Ich kann das am Beispiel der Stadt Nantes mit Saarbrücken darstellen; es gibt immer wieder Möglichkeiten, die sich sonst nicht erschließen würden.

Einer der Bürgermeister der Stadt Nantes war der spätere Premierminister Frankreichs, Jean-Marc Ayrault. Ein Deutschlehrer, der fließend Deutsch spricht, was ein großer Vorteil ist, auch für Saarpolitiker, wenn sie die Möglichkeit haben, kurz anzurufen, um mit jemandem zu sprechen, der in Frankreich eine solch herausgehobene Stellung hat.
Ich erinnere daran, dass wir mit der Woche des jungen französischen Theaters in Saarbrücken damals versucht haben, den Weg der Kultur als den Weg aufzuzeigen, auf dem wir zueinander finden können. Bei den ersten Theatervorstellungen fiel es mir schwer, überhaupt mitzukommen, weil die normale französische Gebrauchssprache ganz anders ist als die Theatersprache. Wer von Ihnen bei einer solchen Vorstellung zugehört hat, weiß, welche Schwierigkeiten sich dem auftun, der eben die Sprache der französischen Literatur in diesem Sinne nicht fließend beherrscht. - Auf jeden Fall war dies ein Ereignis, das alle Fraktionen des Stadtrats mitgetragen haben und als Geste an Frankreich verstanden
worden ist. Genauso wie die Schriftzeichen an der Autobahn, eine der letzten Entscheidungen, die ich selbst treffen konnte. Ich finde das nach wie vor eine wichtige Geste an unsere französischen Nachbarn. Wir sollten diesen Weg weitergehen.

Manchmal hatte ich die Idee, dass man den Pingusson-Bau retten könnte, indem man sagt: Das ist ein deutsch-französisches Haus. - Natürlich wäre das nur möglich gewesen, wenn dies von Paris und von Berlin mitfinanziert worden wäre. Das war eine Idee, vielleicht kann man solche Ideen weiterverfolgen, ich weiß es nicht. Ich erwähne nur, dass man immer wieder überlegen muss, was man tun kann. Für mich ganz entscheidend ist auch ein Punkt, den ich von meinem Freund Peter Scholl-Latour habe, der mich immer wieder besucht hat, wenn er an der Saar war. Ich habe ihn kürzlich als „Saarländer“ bezeichnet, was natürlich in Anführungszeichen zu sehen ist. Dies reflektiert seine Geschichte. Er hat nämlich in der Zeit, in der Deutschland und Frankreich eine wichtige Rolle miteinander suchten, eine
herausragende Rolle gespielt. Er ist derjenige, der immer wieder für einen deutsch-französischen Bund geworben hat. Der Kollege Dörr, ich spreche das bewusst an, hat es hier in Erinnerung gerufen. - Peter Scholl-Latour hat für ein enges Zusammenrücken dieser beiden Staaten geworben, weil er der Überzeugung war, dass nur dann Europa seinen Weg finden wird. Ich glaube, das ist richtig. Das ist eine strategische Überlegung, die man so nicht nachvollziehen muss, aber ich glaube, wenn Deutschland und Frankreich einen gemeinsamen politischen Weg gehen können, soweit dies möglich ist, selbstverständlich unter Respektierung der gegenseitigen Kultur, wäre das eine neue Möglichkeit, Europa voranzubringen. Die Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil der Kultur, sie sollte niemals eingeebnet oder vernachlässigt werden. Es geht nur unter Respektierung der gegenseitigen kulturellen Tradition, die wir gegenseitig so sehr schätzen.

Europa sollte seinen eigenen Weg gehen und sich nicht in die Auseinandersetzungen der miteinander rivalisierenden Weltmächte hineinziehen lassen, dies im eigenen Interesse. Es sollte vielmehr zwischen den Rivalitäten der Weltmächte vermitteln. Der deutsch-französische Bund wäre für mich ein Weg, den ich für sehr erfolgsversprechend halten würde, um das zu erreichen, was wir alle wollen: ein geeintes Europa, das zum Frieden in der Welt beiträgt. - Danke.

(Beifall von der LINKEN, der SAAR-LINKEN und vereinzelt bei der SPD, der CDU und der AfD.)

Warum ich aus der Partei die Linke ausgetreten bin

Quelle: Facebook