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05.11.2021 - von H.S.
"Nationalismus, Klasse und Status: Wie Nationalisten politische Angebote und Gruppenappelle nutzen, um eine neue Wählerschaft zu gewinnen" , so heißt ein im Sommer veröffentlichter Forschungsartikel der Konstanzer Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Christina Zuber in Zusammenarbeit mit Prof. Philip J. Howe (Adrian College, Michigan, USA) und Dr. Edina Szöcsik (Universität Basel, Schweiz).
" ... Jahr 2016 standen Slogans, die Nationalstolz und Selbstbestimmung zum Ausdruck brachten, im Mittelpunkt sowohl von Donald Trumps Präsidentschaftskampagne ("Make America Great Again") als auch der Kampagne für den Brexit ("Lets Take Back Control"). Im Jahr 2017 wurde die Alternative für Deutschland (AfD) zur führenden Oppositionspartei in Deutschland, indem sie gegen Einwanderung hetzte und eine ausgrenzende ethnische nationale Identität propagierte ("Neue Deutsche? Wir machen sie selbst"). Indien schließlich, die größte Demokratie der Welt, erlebte 2019 einen Erdrutschsieg der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP).
Politikwissenschaftler, die sich mit der radikalen Rechten beschäftigen, haben lange darüber diskutiert, ob kulturelle Ängste im Zusammenhang mit der Gruppenidentität oder wirtschaftliche Bedenken diese Kampagnen für die Wähler so attraktiv machen. ...
Zahlreiche neuere nachfrageseitige Studien zeigen, dass der Schlüssel zum Verständnis, warum Menschen nationalistische und rechtsradikale Parteien wählen, im Begriff der Statusangst liegt, die sowohl kulturell als auch wirtschaftlich interpretiert werden kann.
Groß angelegte gesellschaftliche Veränderungen (z. B. Industrialisierung, Globalisierung, Einwanderung oder veränderte kulturelle Werte) stellen die bestehende soziale Hierarchie in Frage. Dies kann Ängste vor einem Rückgang des relativen Status auslösen, Ängste, die nachweislich dazu führen, dass Wähler eher rechtsradikale Parteien wählen (Blum & Parker, 2019; Gest et al., 2018; Gidron & Hall, 2017, 2020; Kurer, 2020; Major, Blodorn & Major Blascovich, 2018; Mutz, 2018). Diese Argumente stehen auch im Einklang mit der politökonomischen Literatur zu Ungleichheit und Nationalismus. ...
Auf der Grundlage mehrerer Originaldatensätze wird diese Erwartung am Beispiel des kaiserlichen Österreichs im Jahr 1907 getestet, wo mehrere nationalistische Parteien bei den ersten Massenwahlen antraten. Es zeigte sich, dass Appelle an die Nation und Versprechen, den politischen und kulturellen Status zu verbessern, bei Landarbeitern, deren wirtschaftlicher Sektor im Niedergang begriffen war, sehr gut ankamen, nicht aber bei Industriearbeitern, deren Sektor im Aufschwung begriffen war. Im Gegensatz dazu war das Versprechen von Sozialpolitik bei den Industriearbeitern erfolgreich, aber weniger bei den Landarbeitern.
Als Beispiel für eine Kampagne, die Personengruppen mit Abstiegsängsten gezielt angesprochen und ihre Statusängste ernst genommen hat, nennt Frau Prof. Zuber die "Respekt-Kampagne" von Olaf Scholz für die SPD im Bundestagswahlkampf 2021.
Der Forschungsartikel erschien zuerst im August 2021. Sie wurde online in der Wissenschaftszeitschrift Comparative Political Studies im Open Access veröffentlicht: Link
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