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WDR: Pflege in Not – Das bedeutet der Fachkräftemangel für Pflegende und Patienten

Foto: H.S.

15.05.2023 - von Jörn Seidel, Jutta Rippegather

... Während Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Pläne für eine Krankenhaus-Reform vorgestellt hat, klären wir: Warum gilt die Pflege als unattraktiv? Wie groß ist der Fachkräftemangel wirklich? Und wie lässt er sich lösen? Wir klären die drängendsten Fragen – und geben Antworten:

Wie groß ist der Personalmangel in der Pflege tatsächlich?
Um 17 Patientinnen und Patienten kümmern sich Pfleger Adamah und seine Kollegin Yvonne an jenem Tag, als der WDR ihn eine Schicht lang mit einem Filmteam begleitet. Das sind pro Pflegekraft 8,5 Fälle. Solange nichts schiefgeht, gehe das gerade so, sagt Adamah. In seiner Ausbildung in einer anderen Klinik war das anders: Da seien drei Pflegende für 42 Patientinnen und Patienten zuständig gewesen.
„Man schafft es irgendwie, aber ist selber sehr gestresst. Da passieren schon viele Abstriche, glaube ich. Bei vielen Stationen.“ Krankenpfleger Adamah
Seit 2019 gilt für bestimmte pflegeintensive Klinik-Stationen eine Untergrenze fürs Personal. Trotz dieser Neuerung dürfte sich an der Personalsituation in Deutschland im internationalen Vergleich noch nicht viel geändert haben. Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung von 2018 kommen hierzulande 13 Klinikpatienten auf eine Pflegefachkraft – in den Niederlanden sind es nur etwa halb so viele.

Wie viele Pflegekräfte fehlen wirklich in Kliniken und Altenheimen?
In zuverlässige Zahlen fassen lässt sich der Personalmangel kaum. Die Gewerkschaft Verdi, die auch für die Rechte von Pflegepersonal eintritt, kam vor zwei Jahren auf 80.000 fehlende Pflegekräfte allein in den Krankenhäusern. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung kam vor vier Jahren auf 100.000 fehlende Pflegestellen in den Kliniken.
Der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang von der Universität Bremen ermittelte vor zwei Jahren für die Pflegeheime in einer umfangreichen Studie 120.000 fehlende Vollzeitkräfte. Die Zahl entspreche etwa 200.000 Köpfen, da viele Pflegerinnen und Pfleger in Teilzeit beschäftigt seien, so Rothgang.
Genaue Zahlen zum Personalmangel in der Pflege bietet der Arbeitsmarkt – natürlich aber nur zu jenen Pflegestellen, die ausgeschrieben sind. Eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit zeigt: Es besteht vor allem ein Fachkräftemangel. Im Jahresdurchschnitt 2021 kamen auf 27.000 Jobangebote für Fachkräfte nur 9.000 qualifizierte Arbeitslose.

In Zukunft wird sich die Personalsituation der Kranken- und Altenpflege wohl noch verschärfen. Da sind sich die Expertinnen und Experten einig. Denn mit der alternden Gesellschaft steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen. Das lässt sich schon mit Blick auf die vergangenen Jahre beobachten, wie das Statistische Bundesamt zeigt.
Wie viele Pflegekräfte werden also in Zukunft fehlen? Zum Teil ist sogar von 500.000 fehlenden Pflegerinnen und Pflegern im Jahr 2030 die Rede. Die Datenbasis solcher Prognosen lässt aber Zweifel aufkommen. Denn wie sich die Situation entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel davon, wie attraktiv der Beruf in Zukunft sein wird. Bislang schreckt er viele eher ab. ...

10.10.2021: Pflegkräfte haben gekündigt
“Wie der Hessische Rundfunk berichtete, haben auf einer Station der Gefäßchirurgie in Marburg 15 von 16 Pflegekräften auf einmal gekündigt. Fast die ganze Station wechsele geschlossen an das Evangelische Krankenhaus in Gießen. Wieder hat die Arbeitsbelastung an der privatisierten Uniklinik Gießen-Marburg Folgen für die Krankenversorgung: Gleich eine ganze Gruppe von Pflegekräften aus Marburg hat sich zum 31. März einen neuen Arbeitgeber gesucht. ...
Jutta Rippegather für Frankfurter Rundschau vom 10. Oktober 2021

Quelle: Gewerkschaftsforum, Frankfurter Rundschau