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14.10.2021 - von Gewerkschaftsforum.de
In den politischen Debatten der letzten Monate spielten die Auswirkungen der fast 20 Jahre gültigen "Agenda 2010" überhaupt keine Rolle mehr. Doch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe, die verkürzte Dauer des Arbeitslosengeldbezugs, die Streichung des Krankengeldes aus der gesetzlichen Krankenversicherung und zahlloser medizinischer Leistungen, die Aufweichung des Kündigungsschutzes, die Umlage der Kosten der Sozialversicherung auf die Beschäftigten, die Senkung der sog. Lohnnebenkosten, die Zumutbarkeitsklauseln, die Gängelung und Bevormundung langzeitarbeitsloser Menschen mit den scharfen Sanktionen der Jobcenter, die Regelsätze, die seit 15 Jahren das Existenzminimum nicht decken, der Ausbau von Leiharbeit, Mini-Jobs, prekärer Beschäftigung und eines riesigen Niedriglohnsektors usw.
sind für die Betroffenen nach wie vor menschenverachtend und existenzvernichtend.
Den ehemaligen Kooperationsverbund kritischer Kräfte, bestehend aus den betroffenen Menschen selbst, Gewerkschaften, linken Parteien und Gruppen sowie den Initiativen der sozialen Bewegungen, gibt es schon lange nicht mehr.
Wir befinden uns eher am Ende des langen Abschieds vom Widerstand gegen die Hartz-Gesetze und am Anfang einer neuen EU-weiten Agenda 2030.
Das Gewerkschaftsforum Dortmund macht auf neue Artikel zum Themenbereich Hartz aufmerksam: Link aufmerksam machen, als Auftakt einer Reihe mit Beiträgen zum hoffentlich wieder breiter diskutierten Thema.
Eine Auswahl:
Regierung kürzt Hartz-IV Mittel für 2022 um 2,6 Milliarden Euro und zahlt den armen Menschen lächerliche 10 Cent pro Tag mehr aus
Zum Jahresbeginn 2022 werden die Hartz-IV Regelleistungen angehoben. Der Eckregelsatz soll um 3 Euro steigen. 3 Euro mehr Hartz-IV im Monat entsprechen 10 Cent am Tag, einer Anhebung von nicht einmal 1 Prozent und das in einer Zeit, in der die Inflationsrate in Deutschland bei 3,8 Prozent liegt und zum Ende des Jahres weiter steigen könnte. Schon daraus ergibt sich eine reale Kürzung.
Das Soll im Bundeshaushalt lag in diesem Jahr für den gesamten Hartz-IV-Bereich bei über 45 Milliarden Euro. Für das kommende Jahr ist vorgesehen, die Ausgaben zu senken. Der Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2022 sieht insgesamt 2,6 Milliarden Euro weniger bei den „Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende“ vor.
Für die konkrete Lebenssituation armer Menschen gilt weiterhin: Das Leben wird teurer, doch die Hartz-IV-Regelsätze wachsen nicht mit. weiterlesen ? Link
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Neues Rechtsgutachten: Hartz-IV-Regelsatz verfassungswidrig
Nach einem vom Paritätischen Gesamtverband in Auftrag gegebenen Gutachten verstößt die geringe Anhebung der Hartz-IV-Sätze zum Jahreswechsel gegen das Grundgesetz. Die Verfassung verpflichte den Gesetzgeber, die absehbare Kaufkraftminderung für Grundsicherungsbeziehende abzuwenden.
Nach einem aktuellen Gutachten der Rechtswissenschaftlerin Professorin Anne Lenze ist die zum 1.1.2022 geplante sehr geringe Erhöhung der Regelsätze verfassungswidrig. Angesichts der Entwicklung der Lebenshaltungskosten verpflichte das Grundgesetz den Gesetzgeber, die absehbare Kaufkraftminderung für Grundsicherungsbeziehende abzuwenden. Mit einem Appell fordert ein breites Bündnis die noch amtierende Bundesregierung auf, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um mindestens einen Inflationsausgleich für die Betroffenen sicherzustellen.
In dem Rechtsgutachten wird u.a. auf die zurückliegenden einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen, das 2014 feststellte, dass die Regelbedarfe bereits an der untersten Grenze dessen liegen, was verfassungsrechtlich gefordert ist. Die niedrige Anpassung der Regelbedarfe zum 1.1.2022 in Verbindung mit der anziehenden Inflation läute nun eine “neue Stufe der Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums” ein, so das Ergebnis der juristischen Prüfung, die der Paritätischen Wohlfahrtsverband in Auftrag gegeben hat. Sollte der Gesetzgeber nicht aktiv werden, um die absehbaren Kaufkraftverluste abzuwenden, verstoße er damit gegen die Verfassung, so das Fazit der Rechtswissenschaftlerin. weiterlesen ? Link
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Vor 20 Jahren wurde die erste „Externe Expertenkommission“ von der Bundesregierung berufen – ein solches undemokratisches Gremium gab es bis dahin nicht, später um so öfter
Da hatte wohl niemand mehr mit gerechnet. Ein Dreivierteljahr vor dem Ende der ersten Amtszeit Gerhard Schröders als Bundeskanzler wurde zur Überraschung aller in Fraktion und Partei der SPD arbeitsmarktpolitisch noch etwas neu angefasst. Nachdem die Bertelsmann Stiftung ihren wirtschaftspolitischen Forderungskatalog vorgelegt und der Bundesrechnungshof einige Ungereimtheiten an die Öffentlichkeit gebracht hat, die auf eine gezielte Verzerrung der Statistik in den Arbeitsämtern hindeuteten, wurde Handlungsdruck aufgebaut, sodass die Bundesregierung im Januar 2002 eine Expertenkommission berief, um Vorschläge für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ zu entwickeln. Die Kommission unter dem Vorsitz von Peter Hartz, Vorstandsmitglied der Volkswagen AG, fand rasch eine breite öffentliche Beachtung. Auf Grundlage seines Berichts wurden mehrere Gesetzespakete verabschiedet, die als „Hartz I“ bis „Hartz IV“ umfangreiche Veränderungen in der deutschen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik einleiteten und das hart erkämpfte Recht auf sozialversicherungspflichtige und gewerkschaftlich abgesicherte Arbeitsverhältnisse mit Flächentarifverträgen wegsprengte.
Heute weiß kaum noch jemand, dass diese Hartz-Kommission fast komplett mit externen, angeblichen Experten besetzt wurde. „Par ordre du mufti“ benannte der damalige Bundeskanzler Schröder die Kommissionsmitglieder, die nicht gewählt waren und die berüchtigten, weitgehenden Entscheidungen treffen konnten, die von den gewählten Politikern nicht mehr veränderbar waren. Die gewählten Volksvertreter waren bei der ganzen Agenda-Politik schlichtweg außen vor. Die Schröderpolitik war der Beginn einer Welle von selbsternannten Expertengremien als effektives Mittel, das gewählte Parlament zu umgehen. weiterlesen ? Link
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Der Putsch von ganz oben – Ein Resümee nach 15 Jahre Hartz IV und Agenda-Politik
Von Jürgen Aust
Als einer der wenigen investigativen Journalisten erhob Arno Luik wie nahezu kein anderer seiner Zunft in einem Essay im „Stern“ vom 21.10.2004 eine außergewöhnlich scharfe Anklage gegen die von der SPD geführte Bundesregierung und ihre Agenda-Politik: „Ein Putsch von ganz oben. Wirtschaft und Politik bauen diesen Staat rücksichtslos um. Was der SPD … weiterlesen ? Link
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