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Länder sollen Planungshoheit über Krankenhäuser verlieren - Hecken fordert Grundgesetzänderung

Foto: U.P.

05.07.2021 - von Hanne Schweitzer

In der WELT und in der FAZ vom letzten Sonntag erhielt Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses im Gesundheitswesen (GBA), dem Krankenkassen, Ärzte und Kliniken angehören Gelegenheit, die neoliberale Forderung nach einer Kahlschlagsanierung der Krankenhauslandschaft wieder ins Gespräch zu bringen. Diese fußt auf den 2016 von der Nationalen Akademie der Wissenschaften in Halle herausgegeben „8 Thesen zur Weiterentwicklung zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft“.

Hauptthese: Es dient der Weiterentwicklung des Wohls der Patienten, wenn 85 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland geschlossen und alle Behandlungen statt in 1.900 Krankenhäusern fortan in 300 Zentralkrankenhäusern konzentriert werden.

Ohne Zahlen zu nennen, hat sich Josef Hecken bereits 2017 in einem Gespräch mit dpa auf die Seite der Krankenhausschließer geschlagen: "Viele kleinere Krankenhäuser bieten spezielle und komplexe Behandlungen an, die dringend zentralisiert werden müssten - aus ökonomischen Gründen, aber auch um der Qualität und Sicherheit willen."

Nicht nur für die Berliner Krankenhausbewegung ist von Interesse, dass Hecken letzten Sonntag deutlicher wurde: "Zur Zeit haben wir 1.900 Krankenhäuser in Deutschland. 1.200 Kliniken wären jedoch genug, um die Versorgung im Notfall sicherzustellen." Das sind doppelt so viele, wie die Bertelsmann-Stiftung 2019 in ihrer Studie "Zukunftsfähige Krankenhausversorgung" gefordert hatte. Ihr Vorschlag war, von sämtlichen Krankenhäusern nur noch 600 (also doppelt so viele wie die Hallenser) zu erhalten, und diese 600 zu Großkliniken auszubauen um damit die Krankenhausversorgung der Gesamtbevölkerung zu sichern. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sprach daraufhin von der "Zerstörung sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß, ohne die medizinische Versorgung zu verbessern." Unkommentiert ließ der Krankenhauslobbyverband damals die mit Hilfe der Mammutkliniken erhoffte Reduzierung des Personalmangels durch die Konzentration von Ärzten und Pflegepersonal auf 600 Großkliniken sowie die damit verbundene Erwartung einer Gewinnmaximierung.

Um sein, bzw. das Ziel des Gemeinsamen Bundesausschusses im Gesundheitswesen zu erreichen, schlägt Hecken aktuell vor: "Damit wir ein Krankenhaussystem mit Zukunft bekommen, brauchen wir eine Grundgesetzänderung. Inklusive einer Strukturbereinigung und Aufgabenbereinigung." Dies scheitere aber daran, dass "unser Grundgesetz den Bundesländern die Planungshoheit über die Krankenhäuser" verleiht. Die Bundesländer sollen also auf ihre im Grundgesetz festgeschriebenen Rechte verzichten.

2019 gab es bereits 170 Krankenhäuser weniger als zehn Jahre zuvor. Laut Statista sind es vor allem die freigemeinnützigen und öffentlichen Krankenhäuser, die geschlossen werden. Dadurch ist die Zahl verfügbarer Krankenhausbetten seit dem Jahr 2000 um über zehn Prozent zurückgegangen. Es sind die privaten Klinikbetreiber, die ihre Kapazitäten ausbauen.

Heckens Plan sieht vor, 700 Krankenhäuser zu schließen. Das sollen solche sein, die nicht über Grundanforderungen für eine Notfallstufe verfügen. Was bedeutet: Mindestens sechs Intensivbetten, eine Chirugie, eine internistische Abteilung, eine zentrale Notfallaufnahme. Krankenhäuser, die diese Ausstattung nicht haben, sind laut Hecken nur noch dann notwendig, wenn es sich um sogenannte Sicherungskrankenhäuser in dünn besiedelten Gebieten handelt.

Auf die Frage der WELT, warum die Krankenkassen ihre Ausgaben von zuletzt 250 Milliarden Euro eigentlich nicht selbst regeln, sondern das von der sogenannten Selbstkontrolle, also der GBA erledigt wird, antwortet Hecken ausweichend und schuldzuweisend: "Wir könnten in der Krankenhausversorgung viel mehr Transparenz schaffen, wenn wir nicht in föderalen Strukturen gefangen wären." ... "Jede Landesregierung versucht jedes ihrer Krankenhäuser zu retten." Dabei gehe es aber "nicht primär um die Versorgung der Bürger, die stets als hehrer Zweck genannt wird, sondern schlicht um den Erhalt der Arbeitsplätze im Krankenhaus."

Daraufhin die WELT: "Wie kommen Sie dazu, den Ländern das Interesse an der Qualität der Versorgung abzusprechen?" Hecken: "Das tue ich nicht. Aber ich stelle fest, dass sich die Länder Schritt für Schritt aus der Verantwortung für die Krankenhäuser geschlichen haben. Vergangenes Jahr haben die Krankenkassen rund 80 Milliarden für die Kliniken ausgegeben, der Bund hat 11 Milliarden Euro Corona-Mittel dazugegeben. Von den Ländern gab es im letzten Abrechnungsjahr 2019 dagegen nur 3 Milliarden, obwohl sie auf dem Papier die Investitionskosten der Krankenhäuser tragen müssen."

Wie viel Geld eingespart würde, wenn es statt 1.900 Krankenhäusern 700 weniger gäbe, will die WELT wissen. Hecken: "Bei 1.200 statt 1.900 Häusern würde fast schon automatisch die Auslastung steigen. Das heißt, sie ließen sich wirtschaftlicher betreiben." Dann lässt er die Katze aus dem Sack: "Wir müssten für die Häuser, die auf dem Land die Grundversorgung sicherstellen, zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb der Fallpauschalen schaffen." ... Sein Fazit: "Wir werden nicht plötzlich 5 oder 10 Milliarden Euro im Jahr sparen können. Aber wenn es uns gelingt, den Anstieg der Kosten zu bremsen und die Personalengpässe bei Ärzten und Pflegekräften zu entschärfen, wäre schon viel erreicht."
Nicht zu vergessen: Die Grundgesetzänderung!


Bald aus mit meinem Krankenhaus. Siehe altersdiskriminierung.de unter: Link

Quelle: WELT am Sonntag und Sonntags-FAZ, 4.7.2021