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Gesetzeswidrige Quarantänemaßnahmen in Pflegeheimen: Stellungnahme der BIVA

Foto: H.S.

14.08.2020

Corona: Darf die Einrichtung Quarantäne verhängen?
Wir hören immer wieder, dass Bewohner*innen von vollstationären Pflegeeinrichtungen bei ihrer Rückkehr in die Einrichtung nach einem Besuch bei der Familie oder auch nur nach einem Spaziergang entweder in Quarantäne müssen oder ihnen zumindest vor dem Verlassen der Einrichtung von Mitarbeitern mit der Verhängung von Quarantänemaßnahmen gedroht wird.

Natürlich macht die Pandemie Einschränkungen nötig, gerade im Hinblick auf besonders gefährdete Heimbewohner. Allerdings stellt eine Quarantäne einen massiven Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen dar und hat aus gutem Grund besonders hohe Hürden. Die Auswirkungen sozialer Isolation in Pflegeheimen sind gravierend und müssen dabei mit bedacht werden.
Empfehlungen des RKI allein reichen nicht aus

Generell stellt das Verhängen von Quarantäne durch die Einrichtung nach Ansicht des BIVA-Pflegeschutzbundes ein rechtswidriges Verhalten der Einrichtung dar. Es fehlt an der hierfür erforderlichen rechtlichen Grundlage. Dies gilt auch für den Fall, dass in den jeweiligen Landesverordnungen hinsichtlich der Regelungen für vulnerable Einrichtungen auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts verwiesen wird.

Tatsächlich wird in den aktuellen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts für Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen und für den öffentlichen Gesundheitsdienst („Prävention und Management von COVID-19 in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen“) unter Punkt 3.3 die Rückkehr in Pflegeeinrichtungen behandelt. Es geht hierbei um Neuaufnahme von Bewohnern/Betreuten aus dem häuslichen Umfeld sowie bei Verlegungen bzw. Rückverlegungen aus dem Krankenhaus. Es wird aus wissenschaftlicher Sicht die Empfehlung ausgesprochen, unter gewissen Umständen Quarantänemaßnahmen zu ergreifen, wobei die Gesundheitsämter in diese Entscheidung einbezogen werden sollen.

Bei den Empfehlungen des RKI handelt es sich aber um keine verbindlichen Regelungen, sondern um Richtlinien auch für den Gesetz- und Verordnungsgeber, die, wenn sie vom Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht umgesetzt werden, keinerlei rechtliche Wirkung entfalten können.

Was das RKI nicht im Blick hat und auch nicht seine Aufgabe ist, ist die rechtliche Grundlage für die Verhängung von Quarantänemaßnahmen. Quarantäne stellt eine freiheitsentziehende Maßnahme dar. Diese kann nur durch oder aufgrund eines Gesetzes durchgeführt werden. An einer solchen gesetzlichen Grundlage fehlt es aber.
Derzeit in keinem Bundesland rechtliche Grundlage für Quarantäne durch Einrichtung

Die derzeit geltenden Verordnungen oder Erlasse zum Schutz der Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen stellen keine solche gesetzliche Grundlage für die beschriebenen Maßnahmen dar. Es fehlt nämlich an der so genannten Ermächtigungsgrundlage. Diese kann sich nur aus einer gesetzlichen Bestimmung ergeben, in diesem Fall aus dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). In Betracht kommt § 32 in Verbindung mit § 28 und § 30 IfSG. Nach diesen Regeln können Maßnahmen wie Quarantäne nur im Falle eines Krankheitsverdachts durchgeführt werden. Alleine die Tatsache, dass man sich außerhalb der Einrichtung bewegt hat, begründet diesen Verdacht jedoch nicht.

Daher kann in den geschilderten Fällen von einer Pflegeeinrichtung keine Quarantäne angeordnet werden. Quarantäne anordnen kann nur das zuständige Gesundheitsamt bei dem Verdacht des Vorliegens einer Infektion. Ein solcher ist nur begründet, wenn man mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen ist.

Quarantänemaßnahmen einer einzelnen Einrichtung können auch nicht mit dem Hausrecht dieser Einrichtung begründet werden. Immerhin reden wir hier von ganz massiven Einschränkungen der Freiheitsrechte der Betroffenen, die nur durch oder aufgrund eines Gesetzes vorgenommen werden dürfen. Wie soeben dargestellt, fehlt es genau an einer solchen Ermächtigung.
Leider wird dies in der Praxis oftmals anders umgesetzt. Ein Beispiel:

Die Mutter eines BIVA-Mitgliedes hat eine degenerative Augenerkrankung, deren Behandlung es notwendig macht, alle 14 Tage eine Spritze zu bekommen. Bleibt diese aus, droht sie vollends zu erblinden. Nach Einschätzung der Einrichtung stellt der Besuch der Augenarztpraxis ein derart hohes Infektionsrisiko dar, dass sie danach 14 Tage unter Quarantäne gestellt werden muss – ohne dass das zuständige Gesundheitsamt so entschieden hätte. Mutter und Tochter müssen sich demnach entscheiden zwischen sozialer Isolation auf unbestimmte Zeit oder Erblinden.

Das Beispiel zeigt: Solch schwerwiegende Eingriffe müssen immer für den Einzelfall getroffenen werden und man muss die Umstände bei Härtefällen berücksichtigen. Konkret gilt es hier einen Weg zu finden, das Infektionsrisiko beim Transport zum Arzt und in der Praxis niedrig zu halten. So sieht es auch der Gesetzgeber: Es braucht einen konkreten Verdacht, eine pauschale Verhängung von Quarantäne ist nicht ausreichend.
Andere Lösungen sind notwendig – Vorbild Reiserückkehrer?

In gewisser Weise sind Diskussion und Umstände von Quarantänemaßnahmen bei Reiserückkehrern vergleichbar. Pauschale Quarantäne war auch bei Reiserückkehrern geplant, bis mehrere Gerichtsurteile klargestellt haben, dass ein konkreter Verdacht für solch eine Maßnahme vorliegen muss (eine Übersicht zu Rechtsprechung im Zusammenhang mit Corona findet sich hier. Seit Kurzem setzt man stattdessen auf kostenlose Corona-Tests.

Seit Beginn der Pandemie ist immer wieder im Gespräch, auch in Pflegeheimen die Tests auszuweiten. Insbesondere die Frage der Kostenübernahme ist hier allerdings nach wie vor schwierig: Die gesetzliche Krankenversicherung zahlt bislang nur bei Verdachtsfällen oder Krankheitssymptomen für die Tests. Die Gesundheitsämter kommen für Tests bei der Rückverfolgung von Infektionsketten auf. Einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen sehen zusätzlich vor, dass neue Bewohner vor dem Einzug ins Heim negative Corona-Tests vorlegen müssen – die Kosten müssen sie im Zweifel selbst tragen. Aus BIVA-Sicht ein Unding. Tests für Reiserückkehrer, so Bundesgesundheitsminister Spahn, dürften „keine Frage des Geldbeutels sein.“ Angesichts der steigenden Anzahl von Sozialhilfeempfängern in Heimen ist dieses Risiko dort aber viel mehr gegeben. Der BIVA-Pflegeschutzbund fordert daher kostenfreie Tests für Pflegeheimbewohner statt Quarantäne nach Abwesenheit. Ebenso sollten Bezugspersonen regelmäßig getestet werden, damit gefahrlos Besuche sichergestellt werden können.

Quelle: PM BIVA vom 14.8.2020