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Bundesarbeitsgericht: Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG

28.05.2019 - von Bundesarbeitsgericht

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 28.5.2019, 8 AZN 268/19 ECLI:DE:BAG:2019:280519.B.8AZN268.19.0
Beschränkung der Revisionszulassung - Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG

Leitsätze
1. Streiten die Parteien über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, kann das Landesarbeitsgericht die Revision auf den Anspruchsgrund beschränkt zulassen. Aus § 61 Abs. 3 iVm. § 64 Abs. 7

ArbGG folgt nichts Abweichendes. Die Beschränkung der Revisionszulassung auf den Anspruchsgrund ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Fehlt es hieran, ist die Revision auch hinsichtlich der Höhe zugelassen.

2. Hat das Landesarbeitsgericht die Revision sowohl im Hinblick auf den Anspruchsgrund als auch im Hinblick auf die Anspruchshöhe nur für eine Prozesspartei zugelassen und hat es über die Höhe der Forderung auch zum Nachteil der anderen Partei entschieden, ist die Beschränkung der Revisionszulassung auf die eine Prozesspartei im Hinblick auf die Anspruchshöhe aus Gründen der Parität unwirksam.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. November 2018 - 7 Sa 963/18 - wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.159,88 Euro festgesetzt.

Gründe
1

Die auf grundsätzliche Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfragen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.
2

I. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie auf ein rechtliches Ergebnis gerichtet ist, das bereits eingetreten ist. Gegen das in der Beschwerde bezeichnete Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ist das Rechtsmittel der Revision im Hinblick auf die Anspruchshöhe auch für die Klägerin zugelassen. Insoweit ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Beschränkung der Zulassung auf das beklagte Land wirkungslos. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die Revision im verkündeten Tenor der Entscheidung ausdrücklich nur für das beklagte Land zugelassen und sie für die Klägerin ausdrücklich nicht zugelassen. Allerdings hat das Berufungsgericht die Revision für das beklagte Land nicht auf den Anspruchsgrund beschränkt, sondern umfassend und damit auch im Hinblick auf die Höhe zugelassen. Dies führt, da nicht nur das beklagte Land, sondern auch die Klägerin durch die anzufechtende Entscheidung wegen der Anspruchshöhe betroffen ist, insoweit zur Unwirksamkeit der Beschränkung der Revisionszulassung auf das beklagte Land mit der Folge, dass im Hinblick auf die Anspruchshöhe die Revision für beide Parteien zugelassen ist.
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1. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision für das beklagte Land nicht auf den Anspruchsgrund beschränkt, sondern umfassend und damit auch über die Höhe der Forderung zugelassen. Der Urteilstenor lässt eine Beschränkung auf den Anspruchsgrund nicht erkennen. Nach § 72 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG ergibt sich der Umfang der Revisionszulassung aus dem Urteilstenor, weshalb weder eine nachträgliche Beschränkung der mit dem Tenor verkündeten unbeschränkten Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen (vgl. BAG 19. März 2003 - 5 AZN 751/02 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 308), noch eine nachträgliche Erweiterung der mit dem Tenor verkündeten beschränkten Zulassung der Revision möglich ist (vgl. BAG 22. März 2018 - 8 AZR 190/17 - Rn. 19).
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2. Das Landesarbeitsgericht hätte die Revision für das beklagte Land auf den Anspruchsgrund beschränkt zulassen können.
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a) Das Berufungsgericht kann die Zulassung der Revision zwar nicht auf einzelne Anspruchsgrundlagen, Rechtsfragen oder Elemente des geltend gemachten Anspruchs, wohl aber auf einen tatsächlich oder rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränken (vgl. BAG 15. Januar 2015 - 5 AZN 798/14 - Rn. 5, BAGE 150, 279). Es kann die Revision auf den Anspruchsgrund beschränkt zulassen, wenn über den Anspruch ein Grundurteil hätte ergehen können (vgl. BGH 13. Juli 2004 - VI ZR 273/03 - zu II 1 der Gründe). Ein Grundurteil scheidet allerdings wesensmäßig bei Ansprüchen aus, die der Höhe nach bis zum Ende des Rechtsstreits nicht summenmäßig zu bestimmen sind (vgl. BGH 28. März 2006 - VI ZR 50/05 - Rn. 10).
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b) Das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG dem Grunde nach stellt einen rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs dar, über den - ebenso wie bei Schmerzensgeldansprüchen (vgl. BGH 28. März 2006 - VI ZR 50/05 - Rn. 10) - durch Grundurteil entschieden werden und auf den auch der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte. Auch bei einem der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG gehört der Betrag des Anspruchs zum Streitgegenstand, denn insoweit kann nicht nur der Anspruchsgrund, sondern auch der zu beziffernde Betrag streitig sein. Deshalb darf über einen solchen Antrag grundsätzlich entsprechend § 304 ZPO durch Grundurteil entschieden werden.
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c) Dass im Arbeitsgerichtsprozess ein Grundurteil nicht selbständig anfechtbar ist (§ 61 Abs. 3 iVm. § 64 Abs. 7 ArbGG), führt zu keiner anderen Bewertung (so auch GMP/Müller-Glöge 9. Aufl. § 72 Rn. 41; aA Düwell/Lipke/Düwell 4. Aufl. § 72 Rn. 55). § 61 Abs. 3 ArbGG ändert die für den Zivilprozess der ordentlichen Gerichtsbarkeit geltenden Verfahrensregelungen nur zum Teil ab. Er schränkt die Zulässigkeit eines Grundurteils an sich nicht ein, sondern beschränkt nur dessen Wirkung und damit auch dessen rechtliche und praktische Bedeutung (vgl. BAG 1. Dezember 1975 - 5 AZR 466/75 - zu 2 der Gründe).Die Frage nach einer auf den Anspruchsgrund beschränkten Revisionszulassung ist deshalb von der Frage nach der selbständigen Anfechtbarkeit eines Grundurteils zu unterscheiden.
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3. Das Landesarbeitsgericht hätte die Zulassung der Revision wegen der Höhe des Anspruchs nicht auf das beklagte Land beschränken dürfen. Zwar kann die Zulassung der Revision grundsätzlich auf eine Prozesspartei beschränkt werden (vgl. etwa BAG 28. Mai 1998 - 2 AZR 480/97 - BAGE 89, 43) mit der Folge, dass die gegnerische Partei allein die Möglichkeit der Anschlussrevision hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings dann anerkannt, wenn eine als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage vom Berufungsgericht nicht allein zum Nachteil der einen Prozesspartei entschieden wurde und deshalb auch die andere Partei von ihr nachteilig betroffen ist (vgl. BGH 26. September 2012 - IV ZR 108/12 - Rn. 7). Zwar könnte vorliegend einiges dafür sprechen, dass das Landesarbeitsgericht, das seine Zulassungsentscheidung auf das Vorliegen des Zulassungsgrundes nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gestützt hat, davon ausgegangen ist, dass sich nur im Hinblick auf den Anspruchsgrund und nicht auch im Hinblick auf die Anspruchshöhe (zumindest) eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung stellt; dennoch hat es im Tenor seiner Entscheidung - wie unter Rn. 3 ausgeführt - die Revision für das beklagte Land unbeschränkt, dh. sowohl im Hinblick auf den Anspruchsgrund als auch im Hinblick auf die Anspruchshöhe zugelassen. Über die Höhe des Anspruchs hat das Berufungsgericht indes nicht nur zum Nachteil des beklagten Landes, sondern ebenso zum Nachteil der Klägerin entschieden, weil es dieser nicht die von ihr begehrte Mindestentschädigung iHv. 10.319,76 Euro, sondern lediglich 5.159,88 Euro zugesprochen und die Berufung der Klägerin im Übrigen abgewiesen hat. Infolge der unbeschränkten Zulassung der Revision für das beklagte Land kann dieses mit der Revision demnach nicht nur die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Anspruchsgrund, sondern auch dessen Entscheidung über die Anspruchshöhe angreifen. Aus Gründen der Parität muss Letzteres auch für die Klägerin gelten. Sie muss sich insoweit nicht auf die Möglichkeit der Anschlussrevision verweisen lassen. Soweit das Landesarbeitsgericht die Revision im Hinblick auf die Anspruchshöhe nur für das beklagte Land zugelassen hat, ist diese Beschränkung unwirksam; insoweit wirkt die Zulassung auch zugunsten der Klägerin. An diese Zulassung ist das Bundesarbeitsgericht nach § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden.
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4. Nach alledem ist die Nichtzulassungsbeschwerde auf ein rechtliches Ergebnis gerichtet, das bereits eingetreten ist, sie ist deshalb als unzulässig zu verwerfen. Aus dem Grundsatz der Meistbegünstigung folgt insoweit nichts Abweichendes. Der Klägerin bleibt es unbenommen, unter Beachtung der prozessualen Vorgaben Revision oder Anschlussrevision einzulegen. Sie ist prozessual nicht schutzlos gestellt. Durch den Fehler des Berufungsgerichts entstehen ihr keine prozessualen Nachteile (vgl. BGH 8. Mai 2018 - XI ZR 538/17 - Rn. 13).
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II. Von einer weiteren Begründung zum sonstigen, vom Senat geprüften Vorbringen der Klägerin wird abgesehen, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen die Revision zuzulassen ist (§ 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG). Weitergehende Ausführungen sind auch von Verfassungs wegen nicht geboten (vgl. BVerfG 8. Dezember 2010 - 1 BvR 1382/10 - BVerfGK 18, 301).
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.


Schlewing Vogelsang Roloff

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28.5.2019