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Von einer die auszog, in Deutschland als Krankenschwester zu arbeiten

Foto: H.S.

24.07.2019 - von Hanne Schweitzer

Nach dem Abitur und einem Bachelor in Krankenpflege wird Sumin in Südkorea berufstätig. Zuletzt arbeitet sie neun Jahre lang als Anästhesieschwester im Samsung-Medical Center (SMC) in Seoul. Ein Arbeitsplatz beim Familienkonzern Samsung gilt in Südkorea als gesellschaftlicher Ritterschlag.

Mit seinen 1.900 Betten und 40 verschiedenen Stationen entspricht das SMC ziemlich genau den Träumen bundesdeutscher Befürworter von Großkliniken. Am SMC sind ca. 1.400 ÄrztInnen, 2.600 KrankenpflegerInnen und ein großes Team aus PharmazeutInnen, MedizintechnikerInnen und ForscherInnen beschäftigt.

13 Jahre hat Sumin in Vollzeit gearbeitet, sie ist nun 38 Jahre alt und möchte eine neue berufliche Herausforderung. Sie hat vom hohen Standard der deutschen Medizin gehört, und beantragt ein 3monatiges Visum. Ohne die Verhältnisse in Deutschland näher zu kennen, kommt sie 2016 in eine bundesdeutsche Großstadt und freut sich auf die neue Kultur und den Deutsch-Sprachkurs, durch den sie in eine Gastfamilie vermittelt wird.

Juni 2016: Ankunft in Deutschland
Ab Juni 2016 besucht sie, auf eigene Kosten, zwei Jahre lang verschiedene Sprachschulen. Ihr Sprachstudium schließt sie mit dem Sprachkurs C2 ab. AbsolventInnen eines solchen Kurses werden vom Goetheinstitut beschrieben als: „Kann praktisch alles, was er / sie liest oder hört, mühelos verstehen. Kann Informationen aus verschiedenen schriftlichen und mündlichen Quellen zusammenfassen und dabei Begründungen und Erklärungen in einer zusammenhängenden Darstellung wiedergeben. Kann sich spontan, sehr flüssig und genau ausdrücken und auch bei komplexeren Sachverhalten feinere Bedeutungsnuancen deutlich machen.“

Juli 2018: das Praktikum
Um die Arbeit in einem deutschen Krankenhaus praktisch kennenzulernen und die medizinische Fachsprache anzuwenden, beginnt die berufserfahrene Fachkraft am 1.Juli 2018 ein drei Monate langes, unbezahltes Praktikum in einem konfessionellen Krankenhaus mit 300 Betten. In ihrem Arbeitsvertrag steht, dass es sich dabei um ein Orientierungspraktikum für die Aufnahme einer Anerkennungsausbildung handelt.
Die junge Frau empfindet das als persönliche Ehrabschneidung, aber sie beißt in den sauren Apfel, um Menschen aus ihrem Berufsfeld kennenzulernen und zu erfahren, wie es in einem deutschen Krankenhaus zugeht. Von der Verwaltung wird ihr gesagt, dass sie in dieser Zeit nichts selbstständig tun darf.

Doch der Personalmangel in der Klinik ist groß, und die KollegInnen bitten sie um ihre Mithilfe. Also legt sie Venenkatheder, bereitet Medikamente vor oder assistiert bei der Anästhesie. Es kommt vor, dass die „Praktikantin“ nach einem Eingriff 10 Minuten allein im Operationssaal zurückbleibt, während der Arzt einen Kaffee trinken geht.
Sumin macht ihre Arbeit gerne und fühlt sich fachlich keineswegs überfordert. Die medizinischen Geräte der Klinik, und auch die Medikamente sind dieselben wie in Südkorea und an selbstständiges, eigenverantwortliches Arbeiten ist sie gewöhnt, weil koreanische Krankenschwestern, vergleichbar mit denen in der USA, wie Assistenzärzte arbeiten.

August 2018: der Antrag
Die Arbeit, die Kollegen, Patienten und das Betriebsklima in der Klinik haben ihr gut gefallen, und sie kann sich vorstellen, dort zu arbeiten. Im August 2018 stellt sie deshalb bei der zuständigen Bezirksregierung einen Antrag auf Anerkennung der Gleichwertigkeit ihres Ausbildungsstandes als Gesundheit-und Krankenpflegerin.
Die Bezirksregierung in Düsseldorf teilt ihr mit, dass es das Landesprüfungsamt für Medizin, Psychotherapie und Pharmazie ist, das für ihren Antrag zuständig ist. Eine verbindliche Auskunft darüber, welche Unterlagen sie dort einreichen soll und wie das genaue Prozedere sowie die voraussichtliche Zeitdauer sein wird, erhält sie nicht.
Sumin begibt sich also auf die Suche nach Informationen und wird bei drei Einrichtungen vorstellig, die sich - steuerfinanziert - auf Bildungsberatung und Weiterbildung sowie Anerkennungsverfahren spezialisiert haben.."

Aber wer jetzt denkt, dass einer Krankenschwester aus Korea - wenn schon nicht der rote Teppich ausgerollt wird, dann wenigstens eine umfassende und kompetente Beratung wiederfährt, der irrt. Keine Einrichtung konnte ihr von A-Z die für das Anerkennungsverfahren notwendigen Stationen und Anforderungen nennen. Zugleich läuft die Kommunikation mit der Anerkennungsbehörde in Düsseldorf schleppend, und eine Antwort erhält Sumin jeweils nur auf Druck. Bewährte Taktik des Sachbearbeiters ist es, den Ball zurückzuspielen und die Antragstellerin postwendend in die Bringschuld zu versetzen, teils mit der Forderung nach Papieren, die längst übersendet wurden oder mit der Aufforderung, Sachverhalte zu klären, die sich aus den eingesandten Zeugnissen erschließen.

Dies bringt sie zu der Vermutung, dass der zuständige Beamte die Unterlagen entweder nicht gelesen hat, oder über die tatsächlichen Anforderungen schlichtweg nicht Bescheid weiss. Auch scheint er der englischen Sprache nicht ganz mächtig zu sein. So forderte er z.B. eine Übersetzung vom Englischen ins Deutsche, die nachweislich nicht notwendig war, die Antragstellerin aber pro Seite € 100,- gekostet hätte.

Erst die Einschaltung einer Anwältin bringt die Angelegenheit in Bewegung. Nach monatelangem „Dealen“, welche beruflichen Erfahrungen doch noch für die Anerkennung in Deutschland in Anrechnung gebracht werden könnten, erfährt die Antragstellerin, jetzt durch die Anwältin vertreten, dass sie noch drei Anerkennungslehrgänge besuchen muss, um die Unterschiede zwischen der koreanischen und der deutschen Ausbildung auszugleichen. Für Sumin bedeutet das: 160 Stunden praktische Arbeit auf einer Station der Inneren Medizin = 20 Arbeitstage, 230 Stunden praktische Arbeit in der Psychiatrie = 29 Arbeitstage, und 160 Stunden praktische Arbeit in der ambulanten Pflege = 20 Arbeitstage.

Brav arbeitet sie nun auf der Inneren, absolviert die praktische Arbeit in der Psychiatrie und die ambulante Pflege, indem sie eine Altenpflegerin bei ihren Hausbesuchen begleitet. Die Lehrgänge schließt sie mit drei mündlichen Prüfungen von je zwei Stunden ab. Alle besteht sie mit Bravour.

Januar 2019: die Anpassungslehrgänge
Im Januar 2019 wird Sumin in der Klinik, die sie schon kennt, als Krankenpflegehelferin eingestellt. Von der Bezirksregierung wird Sumins Anwältin, die sie noch vertritt, nach Abschluss der Lehrgänge Anfang Mai 2019, das Schreiben des Landesprüfungsamts zugeschickt, und „die regelmäßige und erfolgreiche Teilnahme „an den Anpassungslehrgängen nach § 20 Absatz 2 der Prüfungsverordnung für Berufe in der Krankenpflege“ bescheinigt. Damit ist das Verfahren zur Anerkennung der Gleichwertigkeit der Ausbildung abgeschlossen.

Hurra! dachte Sumin. Ihr Vertrag als Pflegehelferin endet am 30.6., ein neuer Arbeitsvertrag für die nun vom deutschen Staat anerkannte südkoreanische Krankenschwester liegt ja bei der Klinikverwaltung schon für sie zur Unterschrift bereit.

Mai 2019: das Gesundheitsamt
Doch das Anerkennungsschreiben der Bezirksregierung Düsseldorf enthält auch die Information, dass jetzt noch eine Urkunde ausgestellt werden müsse. Kein Problem, denkt Sumin, nur ein formaler Akt nach all der Wartezeit! Mitnichten, neben einem Gesundheitsattest, einem polizeilichen Führungszeugnis und persönlichen Papieren muss noch eine Bescheinigung des Herkunftslandes eingereicht werden, woraus hervorgeht, dass ihre Berufserlaubnis noch gültig ist. Außerdem müsse ggf. noch ein Nachweis der Fachsprachekenntnisse erbracht werden. Diese hatte Sumin aber schon bei ihren Abschlussprüfungen der Anerkennungskurse erbracht.

Sumin hatte alle diese Unterlagen bereits eingereicht, auch ihr Gesundheitszeugnis am 21.05. in der Hoffnung, alle Hindernisse seien nun beseitigt, und sie könne ab 01.07. als Fachkraft im Krankenhaus beginnen. Am 30.06. läuft ihr Vertrag als Krankenpflegerin aus. Die Zeit rennt, der 30.Juni rückt näher und näher, das Amt hüllt sich in Schweigen. Der 30.Juni vergeht, der Vertrag als Krankenpflegehelferin läuft aus, das Gehaltskonto von Sumin bleibt leer.

Am 1.Juli meldet sich das Gesundheitsamt, auf eine kritische und scharf formulierte Email von Sumin, in der sie amtliche Missstände benannt hat. Der Sachbearbeiterin ist nach knapp drei Wochen „plötzlich“ eingefallen, dass wegen einer handschriftlichen Anmerkung des Arztes, der das Gesundheitszeugnis ausgestellt hatte, auch noch eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung erforderlich sei, damit der Amtsarzt anhand dieses Papiers klären kann, ob die junge Frau gesundheitlich dazu geeignet ist, als Krankenpflegerin zu arbeiten. Dabei hat sie ja schon als Krankenpflegehelferin gearbeitet und spätestens jetzt empfindet sie die Ansage der Sachbearbeiterin als Schikane.

Juli 2019: die Bundesanstalt für Arbeit
Sumin hat inzwischen drei Monate als Praktikantin und 6 Monate als Pflegehelferin auf allen Klinik-Stationen einschließlich der Beatmungsstation gearbeitet. Ab 01.07. ist sie arbeitslos. Sie erfährt, dass sie Anspruch auf ALG II hat und macht sich jetzt notgedrungen auf, ein anderes Amt kennenzulernen. Dort geht alles sehr schnell. „Ja, ALG II steht Ihnen zu, weil Sie neun Monate gearbeitet haben. Verfügen Sie über Rücklagen?“ „Ja.“ „In welcher Höhe?“ „Um die 8.000 Euro habe ich auf dem Konto. Die muss ich aber bei der Verlängerung meines Visums als Sicherheit für meinen Unterhalt nachweisen. 720 Euro pro Monat.“ „Tja, das tut mir leid. Geld ist Geld, Sie haben Rücklagen, damit erlischt ihr Anspruch auf ALG II.“

Juli 2019: das Gesundheitsamt
Am 18.07 hat Sumin beim Facharzt für Kardiologie einen Termin, dieser bescheinigt ihr, wie erwartet, dass keinerlei Bedenken gegen eine Anstellung bestehen. Das Attest wird noch am gleichen Tag von ihr beim Gesundheitsamt eingereicht, es erfolgt aber bis zum 23.07. keine Reaktion. Auf einen drängenden Anruf von Sumin wird ihr ein Termin zur kostenpflichtigen Abholung der Urkunde (€ 60,--) für den 24.07. in Aussicht gestellt, sie werde aber hinsichtlich des genauen Termins noch angerufen. Da die Sachbearbeiterin aber nur Mo – Mi in Teilzeit arbeitet, steht auch dieser Termin nicht verbindlich fest.

Am 24.7. gibt es, trotz telefonischer Absprache mit der Sachbearbeiterin vom Gesundheitsamt keinen Anruf, telefonisch ist sie auch nicht erreichbar. Am 25, und 26.7. arbeitet sie nicht. ... Die Urkunde, die zum FÜhren der Berufsbezeichnung Krankenpflegerin berechtigt, steht noch immer aus!


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Von der anerkannten Anästhesieschwester in Korea zur Arbeitslosen in Deutschland ... eine tolle Karriere, die Sumin viel Geld und Nerven gekostet hat. Die Versuchung, alles abzubrechen und zurückzugehen nach Korea war manches Mal groß. Aber was kümmert das die Ämter! Wenn man aber so mit Fachkräften aus dem Ausland verfährt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn diese lieber in ein anderes Land gehen. Laut "HCM Newsletter für Entscheider" vom Juli 2019 bleiben laut Prognosen bis zu 950.000 Stellen im Gesundheitswesen bis ins Jahr 2030 unbesetzt.

Link: Assistenzarztumfrage: Ökonomischer Druck und Personalmangel
Quelle: Gespräch mit Sumin