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Diskussion im Bundestag über Verteuerung der Pflege

Foto: H.S.

29.06.2019

Aus der Bundestagssitzung am Mittwoch, 26.6.2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 106. Sitzung. Vizepräsident Thomas Oppermann: Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese bereit. Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Kordula Schulz-Asche auf:

Wie hoch beziffert die Bundesregierung die finanziellen Mehrbelastungen für pflegebedürftige Menschen, wenn bei der Einführung eines Tarifvertrags in der Altenpflege nach der aktuellen Finanzierungslogik der Pflegeversicherung die steigenden Löhne in der Altenpflege zugleich steigende Eigenanteile der pflegebedürftigen Menschen nach sich ziehen, und hält die Bundesregierung diese finanzielle Mehrbelastung für zumutbar?

Frau Staatssekretärin Kerstin Griese, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Vielen Dank, Herr Präsident.– Liebe Frau Kollegin Schulz-Asche, Sie sprechen das Gesetz für bessere Löhne in der Pflege an. Weil wir ja noch nicht wissen, wie der zukünftige Inhalt tarifgestützter Arbeitsbedingungen sein wird – genauso wie wir noch nicht wissen, was der zukünftige Inhalt der Vorschläge der Pflegekommission, die Empfehlungen über Mindestarbeitsbedingungen aussprechen soll, sein wird; diese beiden Lösungsmöglichkeiten werden ja im Gesetz angeboten –, können wir noch nicht vorhersagen, wie sich die Kosten daraus entwickeln; deshalb lassen sich die Kosten noch nicht quantifizieren. Die Bundesregierung geht aber davon aus, dass eine Verbesserung der Entlohnung in der Pflege eine Anhebung der Leistungsbeträge und damit einhergehend natürlich auch eine weiter verbesserte Finanzausstattung der Pflegeversicherung erforderlich macht.
Dabei sieht die Bundesregierung vor, Pflegebedürftige und ihre Familien vor einer Überforderung bei den Eigenanteilen in der Pflege zu schützen. Unser Ziel ist, einen Anstieg der gesamten Sozialversicherungsbeiträge über 40 Prozent zu vermeiden.

Vizepräsident Thomas Oppermann: Möchten Sie eine Nachfrage stellen?

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN):
Ja, sehr gerne möchte ich eine Nachfrage stellen.– Lassen Sie mich vorwegschicken, dass ich es durchaus begrüße, dass die Bundesregierung nach so vielen Jahren jetzt versucht, tatsächlich auch in der Pflege Tariflöhne umzusetzen. Trotzdem – das haben Sie richtig beschrieben– ist die Folge dieser Maßnahmen nach der jetzigen Logik eben eine zusätzliche Belastung der Pflegebedürftigen.Sie haben gesagt, Sie wissen noch nicht genau, wie hoch die Summe sein wird, die auf die Pflegebedürftigen zukommt. Das IGES Institut geht ja von ungefähr 5,2 Milliarden Euro zusätzlich aus. Wir haben letztes Jahr in den östlichen Bundesländern gesehen, Konsequenzen dies für die Eigenanteile gerade auch für pflegerische Leistungen hatte. Auch wenn Sie noch nicht die genaue Höhe kennen, müssen Sie nach der jetzigen Systematik der Pflegeversicherung ja mitbedenken, dass genau dieser Effekt eintritt. Deswegen frage ich Sie noch einmal: Welche Maßnahmen prüft die Bundesregierung gerade, um zu verhindern, dass alle Qualitätsverbesserungen einschließlich der Tarifverträge dazu führen, dass Pflegebedürftige und ihre Familien in Zukunft noch stärker finanziell belastet werden? Im Moment liegt allein der Eigenanteil für pflegerische Leistungen schon bei 655 Euro pro Monat oder wahrscheinlich schon darüber. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf. Was plant die Bundesregierung in diesem Fall?

Kerstin Griese, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Vielen Dank für Ihre Nachfrage, Frau Kollegin. – Da die Entscheidung, ob der neugegründete Arbeitgeberverband mit den Gewerkschaften zu einem Tarifvertrag kommt und wie dieser aussieht, aussteht und wir diese Möglichkeit ja in dem neuen Gesetz vorgesehen haben, können wir die Kosten nicht genau quantifizieren.

Deshalb können wir auch noch nichts planen. Dasselbe gilt für den Fall, dass eine Lösung über die Mindestlohnkommission entwickelt wird. Für den Bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist wichtig, dass wir mit diesem Gesetz überhaupt erst diese Wege eröffnet haben. Das ist ein großer Fortschritt; denn bisher war es aufgrund der Situation in der Pflege mit einem hohen Anteil von kirchlichen Trägern, einem Anteil von anderen gemeinnützigen Trägern und einem Anteil von privaten Trägern nicht möglich, einen Tarifvertrag für allgemein verbindlich zu erklären.
Die Bundesregierung ist sehr froh, dass in großem Einvernehmen auch mit den kirchlichen Trägern ein Weg gefunden worden ist, wie ein neu zu entwickelnder Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Wenn es so weit ist, werden wir uns selbstverständlich auch um die Finanzierung kümmern. Ich kann Ihnen noch einmal bestätigen, dass unser Ziel dabei ist, die Angehörigen nicht weiter zu belasten.

Vizepräsident Thomas Oppermann:
Vielen Dank.– Eine weitere Nachfrage?

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN):
Ja.– Wie gesagt, ich begrüße auch, dass hier Tariflöhne endlich flächendeckend möglich werden. Das Problem ist auch erst einmal gar nicht die Höhe der Löhne, sondern die Frage ist, wie Sie die derzeitige Systematik der Pflegeversicherung verändern, um zu verhindern – das ist ja, wenn ich es richtig verstanden habe, auch Ihr Anliegen –, dass alle Qualitätsverbesserungen in der Pflege zu Mehrbelastungen führen. Die Höhe – da gebe ich Ihnen recht – können Sie im Moment noch nicht abschätzen; da können wir uns nur auf Studien, zum Beispiel des IGES, stützen.

Aber wie können wir verhindern, dass alle Verbesserungen, zum Beispiel mehr Personal oder andere Pflegekonzepte, dazu führen, dass in der aktuellen Systematik der Pflegeversicherung ausschließlich die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen belastet werden und später, wenn die Angehörigen es nicht mehr leisten können, sogar noch die Sozialhilfe der Kommunen, also die Hilfe zur Pflege, in Anspruch genommen wird? Diese Angst ist ja gerade auf der Seite der Pflegebedürftigen vorhanden, wenn wir jetzt über Gesetze wie das Tariflohngesetz sprechen.

Deswegen noch einmal meine Frage: Welche systematische Veränderung in der Struktur der Pflegeversicherung wird im Moment in der Bundesregierung diskutiert? Es werden ja strukturell umfassende Reformen nötig. Welche Veränderungen werden im Moment diskutiert, um zu verhindern – was Sie ja auch wollen –, dass die Pflegebedürftigen zusätzlich belastet werden?

Kerstin Griese, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Liebe Frau Kollegin Schulz-Asche, ich bin mir sicher, dass das Bundesministerium für Gesundheit dazu einen geeigneten Vorschlag machen wird, der dann auch in der Bundesregierung abgestimmt werden wird. Ich würde aber gerne die Begleitdiskussion zu dem Gesetz für bessere Löhne in der Pflege nicht mit Ängsten verbinden, sondern will ausdrücklich sagen, dass bessere Löhne in der Pflege auch zu besserer Pflege führen, weil eine höhere Zufriedenheit der Pflegekräfte natürlich auch bedeutet, dass sie mehr Zeit für die Pflegebedürftigen haben. Viele wünschen sich, dass sie mehr Zeit hätten, weil sie so ihre Arbeit besser machen können. Es wird außerdem gefordert – das ist unser Hauptanliegen dabei –, dass die Arbeit, die Pflegekräfte in diesem Land machen, gewürdigt wird. Wir brauchen dringend mehr Pflegekräfte. Sie wissen ja auch, dass ein anderer Teil der Konzertierten Aktion Pflege sich darauf konzentriert, dass wir mehr Pflegekräfte gewinnen wollen. Dieser Teil der Arbeitsgruppe 5 der Konzertierten Aktion Pflege ist nun mit diesem Gesetz für bessere Löhne in der Pflege vorgelegt worden, und auch in vielen anderen Bereichen kommen wir voran, die Pflege zu verbessern. Das würde ich gerne nicht mit Ängsten, sondern mit der Zuversicht verbinden, dass sich jeder Mensch in diesem Land darauf verlassen können muss, dass er im Alter gut gepflegt wird.

(Gabriele Katzmarek [SPD]:
Gute Antwort!)

Vizepräsident Thomas Oppermann:
Für eine weitere Frage hat sich die Abgeordnete Filiz Polat gemeldet.

Filiz Polat (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Präsident.– Frau Parlamentarische Staatssekretärin Griese, Minister Hubertus Heil hat – die Kollegin Kordula Schulz-Asche hat es gesagt – vornehmlich die Pflegeversicherung als Finanzierungsmodell gesehen, aber auch Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt nicht ausgeschlossen, je nachdem, wie die Lohnkalkulationen aussehen. Sind diese Zuschüsse schon im Haushalt 2020 eingestellt?

Kerstin Griese, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Liebe Frau Kollegin Polat, der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat sich, wie es sich für ihn gehört, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege gekümmert und wird keine Vorschläge zur Entwicklung der Pflegeversicherung machen. Das wird das Bundesministerium der Gesundheit tun; denn die Konzertierte Aktion Pflege besteht ja aus mehreren verschiedenen Themenbereichen. Sie haben zu Recht angesprochen, dass auch der Bundesarbeitsminister daran beteiligt war, genauso wie der Bundesgesundheitsminister und die Bundesfamilienministerin, weil die Pflege eben so viele verschiedene Bereiche umfasst: von der Gewinnung der Nachwuchskräfte über die Arbeitsbedingungen in der Pflege bis hin zur Finanzierung. Sie können sicher sein, dass das ein Gesamtvorhaben der Bundesregierung ist, mit dem wir gute Lösungen für diese wichtige Zukunftsfrage finden.

Link: Wie oft wurde Mutter letzte Woche geduscht?
Quelle: Bundestagsprotokoll