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Bundessozialgericht: Urteil über Rente mit 63

Lauphlin. Foto: H.S.

31.08.2017

Bundessozialgericht: Terminvorschau Nr. 39/17
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 17. August 2017 im Elisabeth-Selbert-Saal auf Grund mündlicher Verhandlung über drei Revisionen aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zu entscheiden. ...

1) 10.00 Uhr - B 5 R 8/16 R - H.-H. H. ./. Deutsche Rentenversicherung
Braunschweig-Hannover


Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente für besonders langjährig Versicherte für den Zeitraum September 2014 bis März 2015. Der am 29.12.1950 geborene Kläger war nach einer Fachschulausbildung im August 1968 mit der Aufnahme einer beruflichen Ausbildung in das Arbeitsleben eingetreten und langjährig berufstätig.

Zu Beginn des Jahres 2014 war er bei der K GmbH beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis kündigte die Arbeitgeberin am 12.12.2013 zum 31.1.2014, weil sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. In einer Bescheinigung vom 10.6.2014 erklärte sie, dass die Kündigung als Kostensenkungsmaßnahme eine seinerzeit drohende Insolvenz abwenden sollte. Im Ergebnis blieb diese Maßnahme ohne Erfolg.

Am 31.3.2014 stellte die Arbeitgeberin den Insolvenzantrag. Der Kläger bezog ab Februar 2014 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit (BA), die aufgrund des Leistungsbezugs auch Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtete. Am 26.8.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab September 2014.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger die erforderliche Anzahl von 540 Beitragsmonaten nicht aufgewiesen habe (Bescheid vom 2.10.2014 und Widerspruchsbescheid vom 17.12.2014). Er habe nur 533 Beitragsmonate zurückgelegt.

Die Beitragsmonate von Februar bis August 2014 seien nach den gesetzlichen Vorgaben nicht auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen. Bereits im September 2014 hatte der Kläger eine geringfügige versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen, die er bis März 2015 ausübte.

Unter Berücksichtigung der sich hieraus ergebenden weiteren Beitragsmonate bewilligte die Beklagte dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 25.3.2015 die begehrte Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

Die Klage gegen die Ablehnung der Rente für die Zeit vom September 2014 bis März 2015 hat das SG mit Urteil vom 14.9.2015 abgewiesen. Das LSG hat die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 2.3.2016). Die sieben Monate des Arbeitslosengeldbezuges mit Beitragszahlung durch die BA könnten nicht auf die Wartezeit angerechnet werden, weil es sich um nicht berücksichtigungsfähige (§ 51 Abs 3a S 1 Teil 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ‑ SGB VI) Beitragszeiten aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor dem gewünschten Rentenbeginn gehandelt habe.

Die Ausnahmeregelung, wonach solche Zeiten gleichwohl angerechnet werden dürften, wenn der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung seinerseits durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt gewesen sei, greife nicht ein. Der Kläger wendet sich hiergegen mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
SG Stade - S 9 R 5/15 -
LSG Niedersachsen-Bremen - L 2 R 517/15 -


2) 10.45 Uhr - B 5 R 16/16 R - B.W. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund

Auch in diesem Verfahren streiten die Beteiligten über die Gewährung einer Rente für besonders langjährig Versicherte. Der am 21.8.1951 geborene Kläger war bei der D AG als Verkäufer beschäftigt.

Aufgrund eines Aufhebungsvertrages vom 1.2.2011 wurde das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 45.000 € mit Wirkung zum 31.12.2011 beendet. Die BA bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1.1.2012 bis 31.12.2013.

Am 23.7.2014 beantragte der Kläger die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) und zugleich eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 14.10.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 1.9.2014 in Höhe von monatlich 2001,72 €.

Mit Bescheid vom 7.11.2014 und Widerspruchsbescheid vom 5.3.2015 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte, die monatlich 2157,35 € betragen hätte, mit der Begründung ab, die Wartezeit von 45 Jahren sei nicht erfüllt. Das Versicherungskonto des Klägers enthalte statt der erforderlichen 540 Monate bis zum 31.8.2014 nur 525 Beitragsmonate.

Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn könnten nur berücksichtigt werden, wenn sie durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt seien.

Das sei hier nicht der Fall. Der Kläger hat hiergegen erfolglos den Rechtsweg zu den Instanzgerichten beschritten (Urteil des SG vom 15.2.2016, Urteil des LSG vom 21.6.2016) und verfolgt sein Begehren mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision weiter.
SG Ulm - S 10 R 986/15 -
LSG Baden-Württemberg - L 9 R 695/16 -


Terminbericht Nr. 39/17 (zur Terminvorschau Nr. 39/17)
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 17. August 2017.
1) und 2)

Die Revisionen der Kläger waren erfolglos. In beiden Fällen ist die für die Zuerkennung einer Rente für besonders langjährig Versicherte erforderliche Wartezeit von 45 Jahren nicht erfüllt.

Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn, auf die es jeweils streitentscheidend ankommt, können hierauf nicht angerechnet werden, weil keiner der in § 51 Abs 3a S 1 Teils 3 SGB VI abschließend umschriebenen Ausnahmefälle vorliegt.

Insbesondere lag - was jeweils allein in Betracht kommt - kein Fall der "Insolvenz" vor, der (mittelbar) die Beendigung der Beschäftigung der Kläger und damit den Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung bedingt haben könnte.

Der für den vorliegenden Zusammenhang im Gesetz nicht näher umschriebene und im Gesetzgebungsverfahren nicht thematisierte Rechtsbegriff der Insolvenz erfordert unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm sowie in Übereinstimmung mit der regelmäßigen Vorgehensweise des Gesetzgebers in den übrigen Büchern des SGB insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit stets, dass sich die Beendigung der Beschäftigung als Ergebnis einer verfahrensrechtlich durch die Insolvenzordnung gelenkten Tätigkeit darstellt.

Diese Voraussetzung ist weder bei Maßnahmen vor Einleitung des Insolvenzverfahrens zur Abwehr einer erst für die Zukunft befürchteten "Insolvenz" (Fall 1) noch erst recht bei Beendigung der Beschäftigung aus sonstigen Gründen (Fall 2) erfüllt.

Ein erweiterndes Verständnis der Norm in dem Sinn, dass jede unfreiwillige und unverschuldete Beendigung der Beschäftigung ausreichen könnte, ist mit deren Wortlaut und ihrem engen Ausnahmecharakter als Regelung allein aus der Sphäre des Arbeitgebers stammender bestimmter Gründe im Rahmen der Missbrauchsabwehr unvereinbar. Gegen dieses Verständnis bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG).

Dem Gesetzgeber, dem es im Rahmen der gewährenden Staatstätigkeit frei stand, bestimmte Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen auf die 45‑jährige Wartezeit anzurechnen, war es ‑ vergleichbar der Rechtslage bei Stichtagsregelungen ‑ nicht verwehrt, von dieser Grundregel zur Verhinderung einer missbräuchlichen Frühverrentung für die letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn Ausnahmen zu machen.

Ebenso ist im Rahmen der Rückausnahmeregelung die Begünstigung derjenigen, die aufgrund einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe zwei Jahre vor Rentenbeginn Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung beziehen, gegenüber denjenigen, die aus anderen betriebsbedingten Gründen (Fall 1) ihren Arbeitsplatz verloren haben, durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt.

Anders als in sonstigen Fällen eines betriebsbedingten Arbeitsplatzverlustes verliert der Arbeitgeber im Fall der Insolvenz und der vollständigen Geschäftsaufgabe die (unkontrollierte) Verfügungsbefugnis über seinen Betrieb oder fällt dieser als Basis von Beschäftigungen weg, mit der Folge, dass zumindest im Regelfall rechtlich oder faktisch eine missbräuchliche Beendigung der Beschäftigung durch ein Zusammenwirken der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen ist.

Erst recht wird die vom Kläger im Fall 2 repräsentierte Personengruppe derjenigen, die aus persönlichen Gründen ihren Arbeitsplatz aufgegeben haben, nicht gleichheitswidrig gegenüber Personen benachteiligt, die ihren Arbeitsplatz allein aus Gründen, die aus der Sphäre des Arbeitgebers resultieren, verloren haben.
SG Stade - S 9 R 5/15 -
LSG Niedersachsen-Bremen - L 2 R 517/15 -
Bundessozialgericht - B 5 R 8/16 R -

SG Ulm - S 10 R 986/15 -
LSG Baden-Württemberg - L 9 R 695/16 -
Bundessozialgericht - B 5 R 16/16 R -

siehe dazu auch:Link

Link: Müntefering: Lotto spielen statt Rente erwarten
Quelle: Bundessozialgericht