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Alter und Arbeitslosigkeit in Deutschland

Duisburg, 2015 Foto: H.S.

19.04.2016 - von Hanne Schweitzer

Egal, ob sich jemand beruflich verändern will oder arbeitslos geworden ist: Wer um die 50 ist, kennt das Schwert, das Dionys der Erste an einem Pferdehaar über dem Kopf des Höflings Damokles aufhängen ließ, um ihm die ständige Bedrohung jedes Glückes zu zeigen.

Alter und Arbeitslosigkeit: Nix Neues!
Seit Einführung der Vorruhestandsregelungen wurden allein in den Neuen Bundesländern bis zum Jahr 1992 mehr als 800.000 Arbeitnehmer im Alter von 55 - 59 Jahren "freigesetzt". Dazu kamen 280.00 Arbeitnehmer, die Ende 1989 noch beschäftigt waren und ihren Arbeitsplatz als erste verloren hatten - arbeitsmarktpolitsch ein durchschlagender Erfolg: "Arbeitnehmer über 55 Jahre sind in den Neuen Bundesländern nicht mehr zu finden." (Erster Altenbericht: Die Lebenssituation älterer Menschen in Deutschland. Herausgeber: Bundesministerium für Familie und Senioren, Bonn 1993)

So radikal war der Kahlschlag im Westen nicht, aber auch hier gab es für 50jährige damals Anlass genug, um den Arbeitsplatz zu fürchten. "Gemäß manchen Studien stufen sich Menschen ab ungefähr dem 52. Lebensjahr selbst als "älter" ein; Personalchefs, Betriebsleitungen und Betriebsräte neigen dazu, diese "Grenze" bei den Beschäftigten um das 50. Lebensjahr anzusetzen. (Naegele, 1983)

Bei Fragen, die für die Betriebe aus personalpolitischer Sicht von Bedeutung sind (Aufstiegschancen, Fluktuation, Weiterbildung), lag die "kritische Altergrenze" bereits Mitte der 70iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zwischen dem 30. und dem 40. Lebensjahr. (Hofbauer, 1982). Berater und Beraterinnen des Arbeitsamts beurteilten in manchen Fällen Frauen schon ab dem 36. (!) und Männer ab dem 40. Lebensjahr als "vermittlungsbehindert"!

Frauen haben sowieso immer das falshe Alter. Entweder sie tragen das "Arbeitsrisiko", Kinder zu bekommen und zu erziehen, oder sie gelten als zu alt, um Höchstleistungen zu erbringen. (Erster Altenbericht. aaO.)

Seit 2006 gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
In den vergangenen 10 Jahren hat sich die Botschaft, dass Altersangaben in Stellenangeboten seit 2006 verboten sind, tatsächlich vom Großkonzern bis zum Handwerksbetrieb herumgesprochen. Anzeigen, in denen ungeniert bis 25Jährige gesucht werden, finden sich seitdem noch auf Ebay, in den Ausschreibungen für Dissertationsstipendien oder am Kiosk an der Ecke.

Lügen und Verlogenheit haben zugenommen. Wurde Arbeitsuchenden vor dem Inkrafttreten des AGG noch ungeniert ins Gesicht gesagt: "Wenn ich gewusst hätte, dass Sie schon so alt sind, hätte ich Sie gar nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen", ist es heute meist das Telefon, über dass ähnliche Unverschämtheiten mitgeteilt werden. Link

Kommt die Ablehnung auf eine Bewerbung schriftlich, muss meist das "Profil" als Begründung für eine Ablehnung herhalten. Das "Profil", das nicht so gut, so optimal paßt, oder das Profil eines Bewerbers, das besser paßt. Personaler, die sich jeder Wertung von Berufs wegen zu enthalten haben, können sich mit Hilfe des Profils auf den scheinbar objektiven Vergleich einer Stellenbeschreibung mit den Qualifikationen und Fähigkeiten des Bewerbers oder der Bewerberin zurückziehen. Sie nutzen die Möglichkeit, eine Altersdiskriminierung so zu tarnen, dass sie nicht aufgedeckt werden kann.

Ältere suchen noch immer sehr viel länger nach einer Stelle und finden eine solche noch seltener als Jüngere.

- Der Arbeitsmarkt-Index FRAX: Januar 2016
Die Arbeitslosenquoten der unter-25- und über-54-Jährigen stagnieren. Vom Aufwärtstrend bei der Beschäftigung profitieren sie nicht. Der Vergleich des 3. Quartals 2014 mit dem 3. Quartal 2015 zeigt, dass sich die (Wieder)Eingliederungschancen der unter-25- und über-54-Jährigen deutlich verschlechtert haben.
Die Angaben sind NICHT nach Geschlecht differenziert!

- Die Bundesagentur für Arbeit: Oktober 2015
Ältere sind stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie sind
häufig langzeitarbeitslos. Sie weisen seltener als Jüngere eine fehlende formale Qualifikation auf. Für Ältere ist es schwieriger Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung zu beenden.
Die Angaben sind NICHT nach Geschlecht differenziert! Trotz des Getöses um Gendermainstreaming!

- Der DGB: im Dezember 2015*
Wer in fortgeschrittenem Alter arbeitslos wird, hat es sehr schwer, seine Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung zu beenden und ein hohes Risiko, bis zum Renteneintritt ohne Beschäftigung zu sein. Die Arbeitslosenquote der über 55-Jährigen liegt um 1,1 bis 1,4 Prozentpunkte über der allgemeinen Arbeitslosenquote. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit Älterer ist sehr viel höher. Die Angaben sind auch NICHT nach Geschlecht differenziert!

Arbeitslosigkeit sinkt durch statistische Tricks
- Nach Vollendung des 58. Lebensjahres werden Arbeitslose aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen, wenn ihnen vom Jobcenter in den letzten zwölf Monaten kein Jobangebot gemacht wurde. Allein im
Juni 2015 waren das knapp 167.000.

- Hartz IV-Empfänger/innen werden per Zwangsverrentung gezwungen, auch gegen ihren Willen mit 63 Jahren Altersrente zu beantragen (§ 12a SGB II). Laut DGB war die Bundesregierung ausweislich ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Parlament nicht in der Lage, den Umfang dieser Zwangsverrentungen zu beziffern.
- Wer an einer Fortbildungsmaßnahme teilnimmt, fällt auch aus der Arbeitslosenstatistik raus. Dabei ist die Arbeitsförderung für Ältere gesunken. Im März 2015 durften nur knapp 126.000 über 50 Jährige an einer Fortbildungsmaßnahme teilnehmen. Je näher das Rentenalter, desto schlechter die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
* Arbeitsmarkt aktuell DBG Nr. 10 / Dezember 2015
siehe dazu auch: Arbeitslosigkeit ab 2009 noch besser frisiert: Link

Tatsächlich nach Lebensalter + Geschlecht differenziert: Die Angaben des Ministeriums der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens
Arbeitslosenrate pro Altersgruppe 2014:
< 25 Jahre
Männer: 12,5%
Frauen: 16,0%
Gesamt: 14,0%

25 - 49 Jahre
Männer: 6,7%
Frauen: 7,2%
Gesamt: 7,0%

50 - 64 Jahre
Männer: 7,7%
Frauen: 10,5%
Gesamt: 8,9%
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Das AGG hat weder zu der anno dunnemal von FAZ und Die Welt propagierten Prozessflut geführt noch zur Gleichbehandlung der Ware Arbeitskraft. Deshalb hat sich an der Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern auch nichts geändert.

Link: Rente mit 67: Jonglieren mit Zahlen und Begriffen
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung