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Direktversicherung: Linke stellt Antrag im BUNDESTAG

Meiningen, 2015 Foto: H.S.

20.10.2015 - von Fraktion Die Linke

Antrag der Linksfraktion im Bundestag:
Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und Versorgungsbezüge - Doppelverbeitragung vermeiden!

Der Bundestag wolle beschließen:

I.
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit den durch die rot-grüne Bundesregierung seit der Jahrtausendwende eingeleiteten Reformen wurde ein fundamentaler Kurswechsel in der Alterssicherungspolitik vollzogen. Ziel der Reformen war nicht mehr, den erarbeiteten Lebensstandard im Alter durch die gesetzliche Rentenversicherung sicherzustellen, sondern den Anstieg des Beitragssatzes bis zum Jahr 2030 auf höchstens 22
Prozent zu begrenzen.
Als unmittelbare Folge dieser Entscheidung sinkt seitdem das Rentenniveau kontinuierlich. Um den Rückgang des Sicherungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung annährend kompensieren zu können, besteht die Notwendigkeit der zusätzlichen privaten und betrieblichen Vorsorge. Diese
subventioniert der Staat über Zulagen und Steuervergünstigungen jährlich mit Milliardenbeträgen.

Dabei hat sich jedoch gezeigt, dass die Ausweitung der betrieblichen Altersversorgung durch die Entgeltumwandlung über Direktversicherungen und andere Durchführungswege ein schlechtes Geschäft für die Versicherten war und ist. Aufgrund der hohen Kostenbelastung u. a. durch Abschluss- und Bestandsprovisionen sind die Altersvorsorgeprodukte nicht nur ineffizient und intransparent, auch die erhofften Erträge bleiben aus. Hinzu kommen die Risiken der Kapitalmärkte und die anhaltende Niedrigzinsphase. Die Entgeltumwandlung führt außerdem dazu, dass die Einnahmebasis der gesetzlichen Rentenversicherung geschmälert wird und somit die späteren Rentenansprüche für alle Versicherten niedriger ausfallen werden.

Für die betriebliche Altersvorsorge schätzt die Bundesregierung
die Beitragsausfälle in der gesetzlichen Rentenversicherung im
Jahr 2015 auf etwa drei Milliarden Euro jährlich (BT-Drs. 18/4557, Frage 1). Hinzu kommen beträchtliche Steuerausfälle.

Zugleich wurde das Vertrauen der Versicherten in die betriebliche Altersversorgung weiter beschädigt. Denn seit dem 1. Januar 2004 unterliegen die als Kapitallebensversicherung erbrachten Versorgungsbezüge wie alle Leistungen der betrieblichen Altersversorgung der vollen Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung (§ 248 SGB V), die von den Rentnerinnen und Rentnern alleine zu tragen ist (§ 250 Abs. 1 SGB V). Die oftmals in Zeiten historisch niedriger Zinsen schon mageren Renditen werden dadurch zusätzlich geschmälert oder gar völlig aufgezehrt (vgl. „Schlechter als der Sparstrumpf, Süddeutsche Zeitung vom 25.03.2014).

Diese Gesetzesänderung erfolgte im Rahmen des sogenannten GKVModernisierungsgesetzes(GMG), das gemeinsam von den Fraktionen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht und verabschiedet worden war. Die Neuregelung des § 229 Sozialgesetzbuch V beendete eine bis dahin bestehende Möglichkeit, Krankenversicherungsbeiträge auf die Versicherungsleistungen zu umgehen, indem die Vertragsgestaltung ein Kapitalwahlrecht vorsah. Die Ungerechtigkeit, dass auf regelmäßige Zahlungen aus Lebens- und Rentenversicherungen (z. B. Leibrenten), nicht aber auf die einmalige Auszahlung einer Kapitalabfindung Beiträge zur Krankenversicherung erhoben wurden, wurde mit dem GMG beseitigt.

Die Neuregelung führt seit 2004 aber bei vielen Versicherten dazu, dass eine vom Unternehmen zu ihren Gunsten etwa in Form einer Kapitallebensversicherung abgeschlossene Direktversicherung und die daraus resultierenden Vorsorgebezüge im Versicherungsfall auch dann zu verbeitragen sind, wenn auf die erbrachten Versicherungsbeiträge zuvor bereits Krankenversicherungsbeiträge abgeführt worden waren. Im Ergebnis ist festzustellen, dass Millionen von Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmern doppelte Krankenversicherungsbeiträge auf ihre Lebens- oder
Rentenversicherung zahlen müssen, und zwar auch dann, wenn der Vertrag über die Betriebsrente bereits vor Inkrafttreten des GMG am 1. Januar 2004 abgeschlossen worden war.

Vollkommen zu Recht fühlen sich die Betroffenen vom Gesetzgeber betrogen. Für sie ist die Doppelverbeitragung nichts anderes als eine „kalte Enteignung“ durch einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre finanzielle Lebensplanung zu Lasten der von ihrem Gehalt abgeführten Altersvorsorge. Denn nicht selten haben sie durch die an die Krankenkasse abzuführenden Beiträge ein Verlustgeschäft gemacht, da die Kapitalabfindung so nicht einmal mehr den eingezahlten Versicherungsbeiträgen entspricht (vgl. „betriebliche Altersvorsorge. Wie Rentner vom Staat abkassiert werden“, „Plusminus“ Sendung vom 25.03.2015). Das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge
ist gescheitert (vgl. z. B.: „Die Illusion von der Lebensstandardsicherung. Eine Analyse der Leistungsfähigkeit des `Drei-Säulen-Modells`“, Arbeitnehmerkammer Bremen 2015).

Gleichwohl hält die Regierung daran fest. Ein Großteil der gesetzlich Versicherten ist auf die zusätzliche Altersvorsorge angewiesen, um die Lücke zu schließen, die durch die fortschreitende Senkung des Niveaus der gesetzlichen Rentenversicherung bedingt ist. Die Versicherten müssen
sich darauf verlassen können, dass die von dem Gesetzgeber geschaffenen Rahmenbedingungen ihrer Zusatzversicherung nicht nach Kassenlage der Krankenversicherung verändert werden.

Stattdessen wäre die konsequente Stärkung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme geboten. Die Einführung einer
solidarischen Gesundheitsversicherung (Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege) würde soziale Gerechtigkeit schaffen, die Finanzierung der Krankenversicherung auf ein solides Fundament stellen und die Absenkung der Beiträge für alle Versicherten ermöglichen.

So oder so muss gelten: Die Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung darf bei Versorgungbezügen nur einmal anfallen. Demzufolge sollten weder auf das Einkommen in der Ansparphase oder auf die Auszahlung der Versicherungsleistungen Beiträge gezahlt werden. Wurden die Beiträge für die betriebliche Altersversorgung aus nicht beitragspflichtigem Einkommen aufgebracht, dann sind nachträglich Beiträge zu zahlen. Wurden die Beiträge aus Einkommen gezahlt, für das bereits Krankenversicherungsbeiträge abgeführt wurden, darf die Versicherungsleistung nicht erneut verbeitragt werden. Hier muss die Bundesregierung endlich Gerechtigkeit herstellen.

II.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzesentwurf vorzulegen,
1.
der die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Versorgungsbezüge beendet. Sollten bereits während der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sein, dürfen in der Leistungsphase bzw. auf die Kapitalabfindung keine Krankenversicherungsbeiträge mehr fällig werden,
2.
eine solidarische Gesundheitsversicherung (Bürgerinnen- und Bürgerversicherung) einzuführen, um gerechte und finanzierbare Krankenversicherungsbeiträge für alle in Deutschland lebenden Menschen langfristig zu gewährleisten.

Berlin, den 14. Oktober 2015
Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Begründung
Was der damalige Verhandlungsführer der Unionsparteien und heutige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer nach durchdiskutierten Nachtsitzungen mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) als, „eine der schönsten Nächte meines Lebens“ kommentierte, entpuppte sich bald für viele Versicherte als finanzieller Albtraum. Nach der Gesetzesbegründung des GMG werden "Rentner, die Versorgungsbezüge erhalten, in angemessenem Umfang an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen für sie beteiligt."

Da die eigenen Krankenversicherungsbeiträge der Rentnerinnen und Rentner nur noch circa 43 Prozent der Leistungsaufwendungen für sie decken, sei es daher - so wörtlich im Gesetzentwurf - "ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht noch höher werden zu lassen" (vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 140).

Betroffen von der doppelten Verbeitragung sind Millionen von Rentnerinnen und Rentnern. So gab es am Jahresende 2014 laut Statistik des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV allein 7,636 Mio. Direktversicherungsverträge.

Bei bis Ende 2004 abgeschlossenen Verträgen, bei denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die wirtschaftliche Last tragen (als Entgeltumwandlung), galt die Regel, dass während der Ansparphase dann keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen waren, wenn die Beiträge aus Sonderzahlungen wie z. B. Weihnachtsgeld oder Bonuszahlungen entrichtet wurden. In diesen Fällen müssten in der Bezugsphase Krankenversicherungsbeiträge fällig werden.

Sofern eine Entgeltumwandlung über laufende Monatsbeiträge erfolgt ist, wurden in der Regel bereits während der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. In diesem Fall sollten die Rentenleistungen oder die Kapitalabfindung bei Auszahlung beitragsfrei sein. Bei Direktversicherungen und Versorgungsleistungen, bei denen die Arbeitgeber die wirtschaftliche Last tragen (als zusätzliche Arbeitgeberleistung), fielen während der Ansparphase grundsätzlich keine Sozialversicherungsbeiträge an. In diesem Fällen müssten in der Auszahlphase auf Rentenleistungen bzw. die Kapitalabfindung Beiträge abgeführt werden.

Seit 2005 sind Beiträge für die betriebliche Altersversorgung bei Entgeltumwandlung bis zur Höhe von vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze (West) der Rentenversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung sozialabgaben- und steuerfrei. Beiträge, die über die vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze hinausgehen, sind dagegen sozialabgabenpflichtig. Auch hier müsste in Bezug auf die Abführung der Krankenversicherungsbeiträge entsprechend differenziert werden.
Den Versicherungsgesellschaften liegen Informationen über die Art der Vertragsgestaltung vor, denn bei Einrichtung einer betrieblichen Versorgung wird eine Vereinbarung zwischen Betrieb und Angestellten nötig. Diese ist Vertragsbestandteil, so dass die Versicherer die entsprechenden Daten an die Krankenkassen melden können.

Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
Drucksache 18/6364 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Parlamentsfernsehen berichtet über die entsprechende Plenarsitzung: Link

Erstes Erscheinungsdatum des Artikels: 20.10. 2015

Link: Direktversicherung: FDP in NRW hat Problematik erkannt
Quelle: Deutscher Bundestag Drucksache 18/6364 18. Wahlperiode 14.10.2015