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Altersdiskriminierung in Berlin: Kleine Anfrage

11.05.2009 - von Abgeordnetenhaus Berlin

Fragen und Antworten zur Kleinen Anfrage der Abgeordneten Monika Thamm (CDU) vom 04. Februar 2009 zum Thema "Altersdiskriminierung in Berlin".

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:
1.
Ist dem Senat bekannt, wo und in welchen Bereichen Altersdiskriminierung in Berlin anzutreffen ist und um welche Größenordnungen es sich dabei handelt ?

Zu 1.: Es ist bekannt, dass älteren Menschen bspw. auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitswesen oder auch in den Bereichen Banken und Versicherungen stellenweise bestimmte Leistungen verweigert werden. Das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Benachteiligungen auch aufgrund des Alters verhindern und beseitigen will, trägt dazu bei, entsprechende Problemlagen offener und unter der Begrifflichkeit „Altersdiskriminierung“ zu adressieren. In der AGG-bezogenen Rechtsprechung machen Urteile, die sich auf das Diskriminierungsmerkmal Alter beziehen, zwischenzeitlich den relativ größten Anteil aus.
Nach Auffassung des Senats wird es weiterhin jedoch prioritär sein, die Wahrnehmung und Sensibilisierung gegenüber dieser Form der Benachteiligung zu stärken. Die Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) hat mit diesem Ziel und in Zusammenarbeit mit dem Landesseniorenbeirat im Oktober 2008 eine vielbeachtete Fachveranstaltung unter dem Titel „Altersdiskriminierung – (k)ein Thema?“ durchgeführt und deren Ergebnisse dokumentiert (Link).
2.
Gibt es zu Fragen der Altersdiskriminierung in Berlin bereits tiefer gehende Untersuchungen? Wenn ja, mit welchen Ergebnissen ? Wenn nein, warum nicht ?

Zu 2.: Spezifische, auf Berlin bezogene, wissenschaftliche Studien zur Altersdiskriminierung sind nicht bekannt. Aus übergeordneter Sicht gibt es jedoch eine Reihe von Untersuchungen, die bestimmte Aspekte oder Felder von besonderer Relevanz herausgreifen. Beiträge wie die vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung deuten bspw. auf den Tatbestand struktureller Diskriminierung Älterer im Erwerbsleben hin. Auch die sprachliche Diskriminierung des Alters, wie sie zum Beispiel in Begriffen wie „Rentnerschwemme“, „Langlebensrisiko“ o.ä. zum Ausdruck kommt, ist Gegenstand fachwissenschaftlicher Betrachtungen. Aus der Tatsache heraus, dass es gerade auch im arbeits- und sozialrechtlichen Raum eine große Anzahl von Altersgrenzen gibt, ist ein Forschungsauftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von Bedeutung. Ziel ist es, eine Bestandsaufnahme zu in Deutschland bestehenden Altersgrenzen zu erarbeiten und zu prüfen, welche vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des AGG (noch) eine Existenzberechtigung haben. Die Studie wird voraussichtlich im ersten Halbjahr 2009 vorliegen.
3.
Wie viele Hinweise und Beschwerden über Altersdiskriminierung sind bei der Senatsstelle für Antidis-kriminierung (seit ihrer Einrichtung bis jetzt) eingegangen, und auf welche Problembereiche bezogen sie sich?

4.
Wie konnte den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern dort geholfen werden ?

Zu 3. und 4.: Im Beratungsnetzwerk der LADS sind im genannten Zeitraum 12 Hinweise und Beschwerden eingegangen, die dem Merkmal Alter zu geordnet werden konnten. Sechs von ihnen wurden als agg-relevant eingestuft. Die Fälle bezogen sich u.a. auf Altersgrenzen in Stellenanzeigen, die Nichtgewährung einer zahnärztlichen Zusatzversicherung,altersbezogene Zugangsrestriktionen zu Gaststätten/Clubs und mangelnde Altersgerechtigkeit bestimmter sportlicher Leistungskategorien. In den meisten Fällen konnte eine vorjuristische Klärung oder Einigung erzielt werden.
5.
Gab es auch in den Senatsverwaltungen Fälle von Altersdiskriminierung? Wenn ja, worauf bezogen sie sich und wie wurden sie gelöst ?

Zu 5.: Eine zur Beantwortung der Kleinen Anfrage durchgeführte Abfrage bei den Beschwerdestellen nach § 13 AGG in den Berliner Senatsverwaltungen ergab, dass bisher keine Beschwerden über Altersdiskriminierung an diese herangetragen worden sind.
Unabhängig davon sind die Behörden der Haupt- und Bezirksverwaltung des Landes Berlin sowie aller sonstigen Einrichtungen, die den BAT / BAT-O anwenden, von der Rechtslage betroffen, die sich aus dem am 11.09.2008 ergangenen Urteil des Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg ergibt. Hiernach stellt das System der Lebensalterstufen nach § 27 Abschnitt A BAT/BAT-O eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters dar.
Die Tarifvertragsparteien des Anwendungstarifvertrages sind sich darin einig, dass im Land Berlin mit Wirkung vom 1. Januar 2010 der BAT/BAT-O bzw. der BMT-G/BMT-G-O und die jeweils ergänzenden Tarifverträge durch den TV-L bzw. den TVöD und die jeweils ergänzenden Tarifverträge abgelöst werden sollen (vgl. § 1 Satz 1 des Vorbereitungs-TV). Beide genannte Tarifver-träge bemessen das Entgelt nach der Dauer der Beschäftigung bei diesem Arbeitgeber und ergänzend nach individuell erbrachter Leistung. Die Dauer der Beschäftigung ist eine Zeit, in der Berufserfahrung erworben wird. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil C 17/05 vom 03.10.2006, sog. Cadman-Entscheidung, NJW 2007, 47) ist eine Vergütungsstruktur zulässig, die auf die Berufserfahrung als Differenzierung abstellt.
Auch die beamtenrechtlichen Bestimmungen werden im Rahmen der begonnenen Dienstrechtsmodernisierung hinsichtlich ihrer AGG-Vereinbarkeit überprüft; dieser Teil der Dienstrechtsmodernisierung soll im 2. Quartal 2010 abgeschlossen werden.
6.
Wie steht der Senat zur Altersbegrenzung bei Ämtern und Ehrenämtern und welche Altersbegrenzungen werden dafür in Berlin praktiziert ?

Zu 6.: Nach Vorlage des vom BMFSFJ beauftragten Gutachtens (s. Antwort zu Frage 2. ) wird der Senat dessen für Berlin relevante Ergebnisse intensiv prüfen. Grundsätzlich gilt, dass unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters und Altersgrenzen nur im Rahmen der von § 10 AGG genannten Bedingungen zulässig sind. Bei den 2006 von der seinerzeitigen Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz neu erlassenen Verwaltungsvorschriften über den Ehrenamtlichen Dienst im sozialen Bereich (VV EaD), den so genannten Sozialkommissionen in den Bezirken, hatte es - im Hinblick auf ein 4-jähriges ehrenamtliches Engagement - eine Debatte um eine ggf. erforderliche Altersbeschränkung gegeben. Es wurde im Ergebnis darauf verzichtet.
7.
Ist dem Senat bekannt, dass im Bezirk Tempelhof-Schöneberg Bewerber ab 61 für das Schöffenamt abgelehnt wurden, und ist dieses Vorgehen rechtlich abgesichert ? Wenn ja, warum ? Wenn nein, warum nicht ?

Zu 7.: Bei dem Bezirksamt Schöneberg sind nach hiesigen Erkenntnissen keine Bewerber oder Bewerberinnen für das Schöffenamt ab einem Alter von 61 aus Altersgründen abgelehnt worden.
8.
Ist den Bürgerinnen und Bürgern gezielt bekannt gemacht worden, wo sie sich bei Altersdiskriminierung hinwenden können ? Wenn ja, wie ? Wenn nein, warum nicht ?

Zu 8.: Es besteht in Fachkreisen Einigkeit darüber, dass eine intensive Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit ein äußerst wichtiger Bestandteil wirksamer Antidiskriminierungsarbeit ist. Die LADS hat vor diesem Hintergrund 2008 eine Informationskampagne unter dem Titel „Diskriminierung hat viele Gesichter“ gestartet, die auch Ausgrenzungserfahrungen im Merkmalsbereich Alter visuell aufgegriffen und über Rechte und Beratungswege informiert hat. Durch Nutzung des „Berliner Fensters“ – dem Fahrgastfernsehen der Berliner U-Bahn – konnte die Ansprache einer breiten Öffentlichkeit gewährleistet werden. Die Sensibilisierung für die Problematik Altersdiskriminierung ist einer der fachlichen Schwerpunkte der LADS. Sie hat in diesem Zusammenhang vielfältige Anstrengungen unternommen. Neben der Kooperation mit relevanten Akteuren im Handlungsfeld und der Informationskampagne sind die Durchführung der Fachveranstaltung, deren Dokumentation, die Herausgabe eines Beratungsführers, die Bereitstellung einer AGG-Urteilsübersicht Link und die Konzipierung eines antidiskriminierungsrechtlichen Fortbildungsangebots für Beratungsträger in der Seniorenarbeit (s.a. Antwort zu Frage 9.) zu nennen. Die LADS wird auch bei der Eröffnung der diesjährigen Berliner Seniorenwoche mit einem eigenen Stand vertreten sein.
9.
Hält der Senat die Beschwerdemöglichkeiten bei Altersdiskriminierung in Berlin für ausreichend ? Wenn ja, warum ? Wenn nein, was müsste geändert werden ?

Zu 9.: Der Senat ist grundsätzlich darum bemüht, die antidiskriminierungsbezogene Beratungsinfrastruktur in der Stadt bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Im Hinblick auf das Diskriminierungsmerkmal Alter ist in Zusammenarbeit mit den Koordinierungsstellen Rund um’s Alter vorgesehen, ihre Beratungskompetenz in Hinblick auf die Thematik Altersdiskriminierung zu stärken. Zurzeit wird ein entsprechendes Fortbildungskonzept erarbeitet und im ersten Halbjahr 2009 realisiert.
10.
Was hält der Senat von der Einführung eines Berliner Beschwerdetages zum Thema Altersdiskriminierung und sollte es ein eigenes Büro gegen Alters-diskriminierung geben?

Zu 10.: Ein Berliner Beschwerdetag zum Thema Altersdiskriminierung erscheint dem Senat ein grundsätzlich geeignetes, aber nicht das einzige, Instrument zu sein, um Erkenntnisse über Ausmaß und Erscheinungsformen von Altersdiskriminierung zu gewinnen und sie stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit zu rücken. Allerdings - das zeigen auch die Erfahrungen des Kölner Büros gegen Altersdiskriminierung - ist der Ressourcenaufwand, der mit einem solchen Beschwerdetag verbunden ist, außerordentlich hoch. Angesichts dessen, dass in Berlin der Weg beschritten wird, die Thematik Altersdiskriminierung in geeigneter Form in bestehende dezentrale Beratungsstrukturen einzubinden, ist der Aufbau eines eigenen Büros gegen Altersdiskriminierung nicht sinnvoll.

Berlin, den 10. März 2009
In Vertretung
Dr. Petra L e u s c h n e r
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Senatsverwaltung für Integration,
Arbeit und Soziales
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. April 2009) Abgeordnetenhaus Berlin – 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 13 016

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2942
Quelle: Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 16 / 13 016 Kleine Anfrage

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