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Die Welt: Babyboomer sind eine Garde fauler Säcke

Foto: H.S.

18.05.2018 - von Hanne Schweitzer

In dieser Zeit, die durchaus etwas Gespensterhaftes hat, darf ein Korrespondent von Welt schreiben, was er will. Hannes Stein zum Beispiel, seit 2012 US-Bürger, vor der letzten Wahl aus der Republikanischen Partei zur Wählerliste der Demokraten konvertiert . In der Rubrik ´Meinung` der online-Ausgabe der Zeitung ´Die Welt` gießt er unter der Überschrift: „Die Tyrannei der Generation Woodstock muss ein Ende haben“, eine üble Mischung Quatsch mit Soße aus.

Der Freund von Wolf Biermann klagt die „gefährlichen Babyboomer“ an. Diese leben, so behauptet er, „verantwortungslos ihren Narzissmus aus.“ Folge: Die junge Generation „sieht sich einer Garde von faulen Säcken gegenüber, die sich grinsend auf ihren Privilegien ausruht“. Während die faulen Säcke grinsen, müssen sich die Jungen „von Zeitvertrag zu Zeitvertrag“ hangeln - was nicht etwa den Bedingungen der Arbeitgeber geschuldet ist. Noch dazu müssen junge Leute tatsächlich „häufig noch zu Hause bei den Eltern“ wohnen - was selbstverständlich nichts mit dem Immobiliemarkt bzw. den hohen Mieten zu tun hat. Zudem haben sie „vor lauter Konkurrenzkampf“, der keineswegs vom System verursacht wird, „keine Zeit mehr für ein Privatleben“. Grins. Dem US-Korrespondenten ist es „ein Rätsel“, warum es „noch keine Revolte gab oder Akte des Ungehorsams“. Denn dann, wenn die Jungen nicht mehr jung sein werden, also „wenn sie alt sind“, wird von den 76.4 Millionen faulen Babyboomer-Säcken „alles aufgebraucht sein. Alles!

Der Korrespondent spricht nicht von Europa oder Deutschland, er redet über "Amerika", also die USA: Dort hat es, behauptet er, „selten – vielleicht nie – in der Geschichte der Menschheit“ (!!!) „eine Generation (eine?) gegeben, die dermaßen egoistisch war wie jene, die in den Vereinigten Staaten als ´baby boomers` bezeichnet wird". Deren prägendes Erlebnis sei „das Konzert von Woodstock“ gewesen, meint der Korrespondent und nennt die dreitägige Veranstaltung, mit ca. 400.000 Besuchern, „eine einzige Katastrophe“. Für ihn belegt sie, „was mit diesen Leuten, die heute 65 oder älter sind, ganz grundsätzlich nicht stimmt“. Nun haben Leute, die heute älter als 65 sind, zwischen 1946 und 1953 das Licht der Welt erblickt, sie sind also nur ein Teil der Babyboomer. Denn anders als hierzulande, gelten in den USA alle als baby boomers, die zwischen 1946 und 1964 geboren wurden. Sie sind heute zwischen 54 und 72 Jahre alt und waren, als das Woodstock-Konzert stattfand, zwischen fünf und 23. Egal: Der Korrespondent hat die heute über 65Jährigen auf dem Kieker und was mit denen nicht stimmt, leitet er aus Folgendem ab:
1.
„Das Konzert fand in der Nähe eines Kaffs namens Bethel statt.“
Die Gemeinde, in der es stattfand, hieß White Lake.
2.
„Hundertausende Hippies waren angereist; viele schafften es nie anzukommen, weil ihre VW-Busse unterwegs zusammenbrachen.“
Was wohl mehr der Tatsache geschuldet war, dass wegen des großen Andrangs alle Zufahrtstraßen blockiert waren und die Staus im Umkreis des Festivals mehr als 20 km lang waren.
3.
„Da die Veranstalter schnell aufhörten, Karten zu verkaufen, war das Konzert gratis“.
Das stimmt nicht. Bereits im Vorverkauf waren 186.000 Tickets verkauft worden. Als am Freitagmorgen schon ca. 150.000 Leute auf dem Gelände waren, hatte man die Häuschen für den Ticketverkauf noch gar nicht aufgestellt. Erst am Samstag wurde bekannt gegeben, dass der Eintritt nun gratis sei.
4.
„Es stank bald nach Exkrementen zum Himmel“.
Kein Wunder, die Veranstalter hatten nur 600 mobile Toiletten aufgestellt.
5.
Bei der „desaströsen Veranstaltung fing es auch noch an zu regnen“!
Es hat mehr als nur geregnet. Am Samstagmorgen fiel bei einem Gewitter innerhalb von ca. drei Stunden über 120 mm Niederschlag. Auch am Sonntagmittag ergoss sich ein heftiges Wärmegewitter über die Flower Power-People.
6.
Die Hippies „saßen zitternd im Schlamm.“
Eine große Anzahl der Notfälle entfiel auf die Behandlung von Sonnenbränden und Hitzschlägen.
7.
„Kinder gingen verloren, weil ihre Eltern gerade mit Geschlechtsverkehr und dem Konsum von Cannabis und LSD beschäftigt waren“.
Von den insgesamt 5.162 medizinischen Maßnahmen waren 797 wegen exzessiven Drogenkonsums erforderlich. Kinder sollen auch in Kaufhäusern schon verloren gegangen sein und bekifften Geschlechtsverkehr hat es auch schon im Englischen Garten gegeben.
8.
„Hundertausende Hippies“, deren Kinder damals „verzweifelt schluchzend durch die endzeitliche Landschaft“ liefen, wurden „von den Helikoptern der US Army gerettet“.
Thank God, aber die Armee-Hubschrauber brachten Verpflegung, flogen Notärzte ein und kranke Festivalbesucher in die umliegenden Krankenhäuser aus.
9.
„Stockkonservative Farmer“ schmierten “Erdnussbuttersandwiches“ für die Hippies. „Ohne diese Hilfe wären sie glatt verhungert, verreckt, im Dreck verkommen.“
Von drei Hippiekommunen in der Nähe wurden Freiküchen eingerichtet. Aus den umliegenden Gemeinden wurde entweder für viel Geld oder sehr preiswert Essen an die Festivalbesucher verkauft.

Wie es der Korrespondent geschafft hat, aus seinen Behauptungen abzuleiten, was mit den über 65Jährigen nicht stimmt, bleibt sein Geheimnis. Er hat nur die Lösung aufgeschrieben. Sie lautet: Das Konzert im August 1969 war die Geburtsstätte für „eine unmoralische Woodstock-Moral“: Diese heißt: „Ich will meinen Spaß, ich will meine Privilegien – und zwar sofort -, aber ich nehme keinerlei Verantwortung auf mich.“ Und „just“ dies sei die „Moral der meisten Babyboomer.“ Womit der Korrespondent die über 65Jährigen aus den Augen verloren hat und ohne Erklärung zu den Babyboomern zurückgekehrt ist. Damit nun aber die Leser wissen, was er nicht meint, fährt er fort: „Nota bene“, merke dir gut, „wir“, der Korrespondent, wir „veranstalten hier keine 68er-Beschimpfung“. Hä? Bisher war von der Tyrannei der Generation Woodstock die Rede, von Babyboomern und ihrer „perversen Woodstock-Moral“ , von Hippies und über 65Jährigen die Rede. Nun rührt er in diese Soße auch noch die 68er - versehen mit der sattsam bekannten Information, dass die 68er „in Wahrheit“ (!) „nur ein kleiner Teil der Generation der Babyboomer" waren.

Auch noch aufgefallen ist dem Korrespondenten, dass man „die perverse Woodstock-Moral sowohl auf der Linken wie auch auf der Rechten beobachten“ kann. Einen Beleg für die perverse Moral der Linken bleibt er schuldig. Die Woodstock-Moral der Rechten – welcher Rechten? gab es Rechte unter den 68ern?, macht er dingfest „an den amerikanischen Waffengesetzen“ und daran, dass „den Babyboomern“, den Rechten? „die Mehrheit der Knarren in den Vereinigten Staaten“ gehört. Die Babyboomer, und nicht etwa die Waffenindustrie mit ihren Aktionären oder die Waffenlobby NRA, „verhindern seit Jahren wirksame Einschränkungen des Rechts auf Waffenbesitz.“ Nicht einmal „obligatorische Sehtests (sollen) verordnet werden“, obwohl sich „jeder verwirrte Wicht“ eine Waffe besorgen kann. Sehtests, damit Wichte nicht mehr auf alles schießen, was sich bewegt?

Ortswechsel, zurück nach Europa: Hier haben sich, weiß der 1965 geborene Korrespondent, die Babyboomer „in den Siebzigerjahren einen schönen Lenz gemacht“. Wie das? In Westdeutschland gelten als Babyboomer die Mitte der 1950er bis zum Pillenknick Mitte der 1960er Jahre Geborenen. 1975, als die ältesten Babyboomer in Westdeutschland 20 und der Korrespondent 10 Jahre alt war, existierten keine Führungspositionen für diese Altersgruppe! Doch das ficht ihn nicht an „Sie“ , nicht die damaligen Partei- und Regierungsverantwortlichen, „haben sich ein exorbitantes Sozialsystem geleistet – obwohl schon damals klar war, dass es auf lange Sicht nicht bezahlbar war – und sich dann später standhaft geweigert, das Rentensystem zu reformieren.“ Auch das ist falsch. Seit den Siebzigerjahren folgt hierzulande eine Rentenreform der nächsten.

Ortswechsel, zurück in den USA. „Nachdem wir“ (!) „lange genug auf die Alten geschimpft haben, sind jetzt aber auch mal die Jungen dran.“ Der Korrespondent weiß zu berichten, „dass junge Leute selten wählen gehen.“ Und dass Trump – jetzt tief Luft holen - „der die Untugenden“ der Babyboomer „geradezu bilderbuchartig verkörpert" Präsident wurde, das ist „auch ihre Schuld.“ Sie „liefen dem Sozialisten Bernie Sanders hinterher“, aber „als ihr heiß geliebter Bernie nicht mehr zur Wahl stand, blieben sie zu Hause.“ Damit nicht genug! In Meinungsumfragen geben „viele Junge“ an, „dass es sie nicht kümmert, ob sie in einer Diktatur oder in einer Demokratie leben.“ Aber, räumt der Korrespondent ein, „das ist eine Karikatur“ und es stimme nicht ganz. Immerhin hätten die Highschool Kids in ein paar Wochen „eine gewaltfreie, disziplinierte Massenbewegung“ also keine, wie eingangs vom Korrespondenten höchstpersönlich geforderte „Revolte“ gegen die Waffengesetze auf die Beine gestellt. Und in Europa? Sein Rat: die Jungen „könnten zum Beispiel dafür demonstrieren, dass die Grenzen nicht wieder geschlossen und das Rentenalter … auf circa 75 Jahre angehoben wird.“

Der Korrespondent beendet seinen Beitrag mit einer Ermahnung an die "jungen Leute" - ob in den USA oder in Europa oder auf beiden Kontinenten, das bleibt offen - und der Warnung vor den Babyboomern. Wenn die jungen Leute - „nicht sehr schnell ihre elektronischen Gerätschaften ausstöpseln und auf den Boden der Realitäten zurückfinden, dann haben sie all das verdient, was die Altherrenriege der Babyboomer mit ihnen anstellt und noch anstellen wird.“ Damit die Tyrannei der Woodstock-Generation endlich ein Ende hat!

Link: Altersdiskriminierung in der Welt am Sonntag
Quelle: Wikipedia + https://www.welt.de/debatte/kommentare/article175041193/Babyboomer-Wider-die-Tyrannei-der-Generation-Woodstock.html

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