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Recht auf Selbsttötung: Grüne + FDP legen Gesetzentwurf vor

foto: H.S.

02.07.2023 - von Hanne Schweitzer

Die Legislaturperiode ist bald zu Ende, aber eine interfraktionelle Gruppe um die Grünen-Politikerin Renate Künast und die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr hat noch etwas vor. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Abgeordneten des Bundestags vor drei Jahren damit beauftragt hatte, die Sterbehilfe neu zu regeln, haben sie einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der am letzten Sitzungstag des Parlaments vor der Sommerpause VERABSCHIEDET werden soll. Inhalt: Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Im Entwurf ist vorgesehen,
Suizidwilligen den Zugang zu tödlichen Medikamenten zu ermöglichen, nachdem sie vorher in einer entsprechenden Beratungsstelle waren und dies nachweisen können.

Die NZZ beschreibt die wichtigsten Inhalte so: Der freie und autonome Wille stehe in dem Gesetzesentwurf im Vordergrund. «Jeder, der sein Leben beenden will, hat das Recht, Hilfe in Anspruch zu nehmen», so Künast. Dafür erforderlich ist ein Netz unabhängiger Beratungsstellen. Das muss aber noch aufgebaut und finanziert werden. Die Beratungsstellen sollen "individuelle Unterstützungsangebote" für einen erfolgreichen Suizid anbieten. Das Personal soll dafür „hinreichend persönlich und fachlich qualifiziert“ sein, z.B.
Sozialarbeiter. Damit soll sichergestellt werden, dass der Sterbewunsch dauerhaft vorhanden ist. Menschen in medizinischen Notlagen sollen durch eine Härtefallregelung schneller Suizidhilfe bekommen, sie werden bevorzugt behandelt. Aber alle anderen dürfen drei Wochen nach dem Beratungstermin damit rechnen, dass ein Arzt – auch der Hausarzt,
– ein Rezept für ein tödliches Medikament ausstellt.

Das Praktizieren des freien Willens am Ende des Lebens provoziert ethische, juristische, medizinische und zwischenmenschliche Veränderungen.
- Wie hat man sich "individuelle Unterstützungsangebote zum erfolgreichen Suizid vorzustellen?
- Welche Möglichkeiten haben alte, kranke oder alleinstehende Menschen ohne suizitäre Ambitionen, dem eventuellen Druck von Angehörigen zum freiwilligen Frühableben zu entkommen?
- Wer schützt sie vor der Bedrängnis durch gierige Erben, überdrüssige UnterstützerInnen, horrende Arzt- und Pflegerechnungen oder Leuten, die scharf auf ihre Wohnung sind? Das Statistische Bundesamt meldete im Juni, dass ältere Menschen im Schnitt deutlich
mehr Wohnraum pro Kopf zur Verfügung haben als die jüngeren.
- Wie wirkt sich ein solches Gesetz auf die Leistungen und Ausgaben von Kranken- oder Lebensversicherungen aus?
- Welche politischen Entwicklungen lassen sich aus einer politikinitiierten und politikbestimmten Neuregelung des Sterbens ableiten?

Der Beginn des Lebens ist längst ein profitabler Teil der Gesundheitswirtschaft geworden: Verhütungsmittel, Fruchtwasseruntersuchungen, Abtreibungen, künstliche Befruchtung, Klonen, Vorsorgeuntersuchungen, Nachsorge, Stillberatung oder "synthetische Befruchtung", wie jüngst in GB durch die Entwicklungsbiologin Zernicka-Goetz. Sie erzeugte menschliches Leben aus embryonalen Stammzellen.

Mit dem Ende des Lebens soll es nun ähnlich werden. Auch der Tod wird merkantilisiert. Zwar inszenieren sich PolitikerInnen als Schutzengel der Leidenden und als FörderInnen von Beratungsstellen. Aber wer weiß, ob bislang Suizid-unwillige nicht mit softpower-Druck zu einer anderen Meinung gebracht werden können. Sicher ist: Egal ob Unfall, Trauma, Alter, schlechte Gene, Erbkrankheit oder Viren: Das alles kostet die Gesellschaft viel, zu viel. Krebs, Rücken, Knochen, Parkinson, Demenz - wer soll das bezahlen? Und weil Euthanasie nicht mehr angesagt ist ... mach es doch selbst, entlaste die Volkswirtschaft, denk an die Belastung, die du darstellt. Hol sie dir. die Pille oder den Saft!
Apropos - wer zahlt die Mieten und Löhne in den Beratungsstellen und die tödlichen Medikamente?

Menschen, die sterben wollen, werden das Gesetz begrüßen und sie werden sehr gute Gründe dafür haben. Aber gesamtgesellschaftlich gesehen ... Die Guten ins Töpfchen
16.6.2022

2.7.2023: Jeder Mensch hat das Recht, sich das Leben zu nehmen und „hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“
Nächste Woche soll es im Bundestag so weit sein: Die Abgeordneten, so sie anwesend sind,
sollen ohne Fraktionszwang abstimmen dürfen, also nur ihrem Gewissen folgend, weil es - mal wieder, um eine neue Regulierung der Sterbehilfe geht, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 das fünf Jahre zuvor verabschiedete Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" verworfen hatte. Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung darf sein!

Zur Wahl stehen zwei Gesetzesentwürfe. Zum einen, der oben vorgestellte Gesetzentwurf der den beiden Frauen Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) und einer, restrikter, von Abgeordneten, die sich um den SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci scharen.

Der Vorschlag von Lars Castellucci möchte die Beihilfe zum Suizid im Strafrecht verankern und sie dadurch grundsätzlich mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe ahnden, wenn die Voraussetzung für eine Ausnahme nicht gegeben ist. Die Ausnahme besteht darin, das der- oder diejenige, die sich das Leben nehmen will, zwei Termine bei einem Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie in einem Zeitraum von drei Monaten wahrnimmt. (Bekanntlich sind die Wartezeiten für solche Termine lang, sehr lang, und werden auch nicht auf Anhieb von den Gesetzlichen Kassen übernommen.) Außerdem muss er oder sie noch eine andere Beratungsstelle aufsuchen. Aber dann kann es losgehen mit dem selbstbestimmten Sterben. Keiner braucht sich mehr auf die Gleise zu legen oder von der Brücke springen.

Quelle: NZZ Briefing, 13.6.2023, WELT AM SONnTAG, 2.7.2023