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Bin ich GUTMENSCH oder Schlechtmensch?

Foto: H.S.

23.06.2017 - von Hartmut Jeromin

Gutmenschen …Da ist es also: das Unwort des Jahres! Es wird ein an sich positiver Begriff negativ gemacht und gebraucht. - Und ich frage mich: Sind mir in meinem nun auch schon recht langen Leben Gutmenschen und das Gegenteil davon, also Schlechtmenschen, begegnet? Und konnte man beide verwechseln? Und wer von beiden überwiegt in meiner Erinnerung?

Ich erinnere mich an einen Fleischer: Die Menschen standen am städtischen Schlachthof an, schon ab früh morgens, mit Gefäßen, ja Wassereimern. Ich konnte es von einem Fenster unserer Wohnung beobachten. Und eines Tages schickte mich die Mutter mit unserer Milchkanne auch dort hin mit ausreichend Instruktionen. Und ich stellte mich mit an, sowas kannte ich ja auch von anderen Läden. Ich stand auch recht weit vorne, gleich da am Tor und hatte Blick auf den großen Hof und die Türen zu den verschiedenen Gebäuden. Kannte ich schon, war ja auch an meinem Schulweg.

Irgendwann sah der Fleischer um die Ecke und es ging ein Ruck durch die Menschenmenge, jeder fasste sein Gefäß fester. Dann gab es einen Ruf und die Leute gingen, ja rannten los über den weiten, gepflasterten Hof, um sich nochmals als Reihe an der Schlachthausküchentür zu ordnen. Leider geriet ich kleiner Bengel nun aber hintenan in der Menschenschlange. Und kam mir recht bedeppert vor. Aus den Gesprächen entnahm ich nun auch, daß vorne anstehen Vorteile brächte beim Austeilen der Wurstbrühe, denn Fett schwämme oben. Und das Dicke? Der Fleischer in weißer Schürze öffnete den Kessel, nahm seine grosse Kelle und sah sich nochmals abschätzend die Menschenmenge an. Und nun passierte das Unwahrscheinliche: „Den Jungen habt ihr aber schön nach hinten gelassen, vor einer halben Stunde sah ich den doch noch ganz vorne am Tor…(Gemurre), du kommst jetzt nach vorne, her mit deiner Kanne…“.- Und ich bekam eingekellt, als erster, sowohl von oben und auch von unten aus dem grossen Kessel. Erst danach rührte er den Kesselinhalt mächtig um. Es werden wohl zwei Liter Wurstbrühe gewesen sein, die ich stolz nach Hause brachte! Und zu erzählen hatte ich auch was. Diese Begebenheit ließ mich mein Leben lang nicht los! War das nun ein Gutmensch?

Ein anderes Beispiel: Mit einem Mitschüler bummelte ich durch die Geschäftsstrassen der Kleinstadt, ich glaube gar, schulschwänzender Weise …Spielwarenschaufenster zogen uns mächtig an. Man konnte gar im Laden herumspazieren. Wieder draussen auf der Strasse, nach einigen Schritten, öffnete der Mitschüler seine Faust und zeigte mir eine kleine Spielarmbanduhr, die er hatte da mitgehen lassen.- Viel Zeit zum Nachfragen blieb aber nicht, denn eine aufmerksame Frau packte uns am Kragen, führte uns zunächst in das Geschäft und danach gar in die Wohnung des Mitschülers. Da war nur die Großmutter und die aber sehr streng. Bei der Befragung schob nun mein Kumpel alles auf mich, war das einfachste für ihn und ich bekam den Zorn der Großmutter zu spüren. Sie stellte mich als den Schlechtmenschen hin und ihren Enkel als den verführten. Wir sollten fortan keinen Umgang mehr miteinander haben …und das Machtwort der Großmutter wirkte. Noch bis weit in die 5. Klasse hinein und auch danach noch. Der Sohn des Gärtnereibesitzers macht doch sowas nicht! Fortan also gingen wir uns aus dem Wege, soweit möglich. Unsere Freundschaft hatte einen Knacks bekommen.

Allerdings, etwas zuvor, wir wieder in der Schulzeit auf Abwegen, d.h. wir gingen „ströpen“, auf den Wiesen am Stadtrand. Da gab es in dem Winter lange Eisbahnen auf den Gräben. Gut zum Schlittern. Etwas fußmüde wollte ich eine Pause einlegen auf rutschfestem Untergrund, da war mitten auf dem Eis etwas trockenes Riedgras…und schon steckte ich bis zum Hals im eiskalten Wasser. Der Kumpel reichte mir seine Hand vom Ufer aus und zog mich heraus. Im Laufschritt ging es nach Hause, die Mutter hatte erhebliche Mühe, mich wieder warm zu kriegen. Es gab wohl Nachfragen, aber die volle Wahrheit erfuhr die Mutter sicher nicht. Zusammengenommen glich sich gut und nicht gut also aus. -

In der zweiten Klasse (1949) hatte ein Mitschüler ein kleines Spielauto (Matchbox) mitgebracht und ließ sich damit bestaunen. Nach der Pause war es in meinem Schulranzen und der Junge meldete dem Lehrer (Herr Brümmer, das Klassenfoto existiert noch) seinen Verlust. Gut Zureden nützte nichts, es wurden Jungen aus einer höheren Klasse herbei geholt zur Ranzenkontrolle reihum. Ich machte mir beinahe in die Hosen, vom röter werdenden Kopf ganz zu schweigen. Es wurde gefunden und ich war nun der Böse …- Nach Gesprächen in der Schule ging also die Mutter mit mir in die Stadt und kaufte mir da ein großes gelbes Postauto mit Hänger. Ich glaube, auf Abzahlung. Beschämt und gleichzeitig stolz trug ich das neue Spielzeug nach Hause. Ihr seht, gut und nicht gut wechselten und die Verhältnisse wurden zunehmend komplizierter für mich. Aber auf die Mutter und den Vater war in solchen Verstrickungen immer Verlaß!

Meine Erfahrungen mit Gutmenschen und den anderen nahmen im Laufe des Lebens stetig zu, besonders mit den nicht so guten! Teils aus Rechthaberei, teils aus Gründen des Machterhalts zog ich viele Male den Kürzeren im Leben. Ja, manche Machtmenschen tobten sich regelrecht an mir aus. Besonders schlimm erging es mir zeitweise im Beruf: Laut Weisung sollte ich als Klassenleiter Erfolg haben bei der Werbung für militärische Berufe, hatte ich aber nicht. Also wurde ein Exempel statuiert, im Beisein meiner Kollegen aus den Parallelklassen. Der Schulrat durfte mich auf Antrag des Schulleiters zur Schnecke machen. ( Den Schriftsatz dazu bewahre ich bis heute in einer Schublade meines Schreibtisches auf). Ich konnte mich zunächst nicht gut rechtfertigen, aber es gab Gründe für meine relative Erfolglosigkeit. Einer bestand darin, dass sich bei meiner Frau erste Anzeichen ihrer Erkrankung zeigten, ich konnte am frühen Abend nicht mehr aus dem Hause zu den nötigen Elterngesprächen - also ließ ich es dann einfach ganz sein. So kam es. Waren mein Schulleiter, der Schulrat und meine Kollegen nun Gutmenschen im negativen oder gar positiven Sinn? Sie kannten ja meine Gründe nicht. Diese Reihe von Erlebnissen ließe sich fortsetzen.

Gab es eigentlich Spielregeln für gut oder böse? Ich kannte recht gut die „10 Gebote“ (Du sollst nicht…), es gab auch die Pioniergesetze in einem kleinen blauen Büchlein und auch das Strafgesetzbuch mit seinen ca. 350 § (nur rund 20 § für Eigentumsdelikte). Dazu noch ein Wehrstrafgesetz, Betäubungsmittelgesetz, Versammlungsgesetz, Strassenverkehrsgesetz. Im Koran gar werden zu jeder der 114 Suren Höllenstrafen angedroht. Sollte der Mensch zu seinem Glück gezwungen werden müssen?

Aber diese Gesetze scheinen nicht zuzureichen für die Wechselfälle des Lebens und so muß die Sprache herhalten. Es werden dazu erfunden die „Gutmenschen“, als auch negativ zu gebrauchender Begriff. Aber was beschreibt der Begriff nun eigentlich, wozu wird er gebraucht? Und wie kann sich jeder einordnen, wenn er das Bedürfnis dazu hat? Und jeder selbst darf sich nun fragen: Bin ich ein guter Mensch, falls er ein Maß dafür hat! Jedenfalls hat es den Ansager bei der jüngsten Verleihung des bayrischen Filmpreises sehr geschüttelt, als die junge, mit einem Filmpreis bedachte Mongolin Uisenma Borchu sagte, sie sei ein freier Mensch, weil sie nicht hasst. Solch Moral war ihm sichtlich nicht geläufig … aber dachte Hartmut Jeromin im Januar 2016: Solch` Freiheit lob ich mir!

Quelle: Mail an die Redaktion