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Altersdiskriminierung bei Betriebsratswahlen: Wieso aktives Wahlrecht erst ab 18?

Rabatt, Foto: H.S.

02.03.2017

In § 7 S. 1 BetrVG ist geregelt, dass wahlberechtigt alle Arbeitnehmer des Betriebs sind, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Es geht um die aktive Wahlberechtigung, nicht um die Wählbarkeit. Nur: welchen Sinn und welche Berechtigung hat es eigentlich, die unter 18jährigen Beschäftigten von der Teilnahme an der BRWahl auszuschließen? Sie sind wie alle anderen im Betrieb Arbeitnehmer (bzw. Auszubildende), sie werden wie alle anderen auch vom Betriebsrat vertreten, auch für sie gelten alle Betriebsvereinbarungen. Hier sollten die Betriebsräte einmal den Ausschluss der jüngeren Beschäftigten diskutieren.

Inhalt
In den Kommentierungen zum BetrVG wird diese Altersbeschränkung überhaupt nicht problematisiert. Und ein Blick in andere Bereiche macht deutlich, wie unsinnig diese Altersbeschränkung ist:
- Zur Jugend- und Auszubildendenvertretung können alle Arbeitnehmer auch vor Vollendung des 18. Lebensjahres wählen,zudem die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten vor Vollendung des 25. Lebensjahres (§§ 61 I, 60 I BetrVG).
- Für den Seebetriebsrat können alle zum Schifffahrtsunternehmen gehörenden Besatzungsmitglieder unabhängig vom Alter wählen (§ 116 I Nr. 1 BetrVG). Für die Bordvertretung besteht ebenfalls ein aktives Wahlrecht für alle Besatzungsmitglieder unabhängig vom Alter (§ 115 II Nr. 1 BetrVG).
- Das aktive Wahlrecht für die Schwerbehindertenvertretung haben alle im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Menschen unabhängig vom Alter (§94 II SBG IX).
- Ein Blick auf das Personalvertretungsrecht macht die Situation noch wirrer: das Bundespersonalvertretungsgesetz und sieben Landespersonalvertretungsgesetze knüpfen die aktive Wahlberechtigung an die Vollendung des 18. Lebensjahres an, neun Landespersonalvertretungsgesetze aber geben entweder allen Beschäftigten unabhängig vom Alter die aktive Wahlberechtigung oder zumindest ab Vollendung des 16. Lebensjahres.

Gründe für den Ausschluss der Jüngeren sind nicht ersichtlich. Auch der Hinweis auf die Volljährigkeit verfängt nicht, weil jedenfalls von 1952 bis 1972 die Volljährigkeitsgrenze bei 21 lag, das aktive Wahlrecht aber ab Vollendung des 18. Lebensjahres gegeben war.

Bedeutung für die Betriebsratspraxis
Der Ausschluss der Jüngeren von der Betriebsratswahl ist willkürlich. Für die Betriebsratspraxis wiederum wäre es geboten und von erheblicher Bedeutung, wenn auch die unter 18-jährigen den Betriebsrat mit wählen dürften - sie werden ja auch vom Betriebsrat vertreten. Bundesweit handelt es sich immerhin um mehr als 600.000 Arbeitnehmer im Alter von 15 bis 18 - wenn auch nicht immer in Betrieben mit Betriebsrat tätig. Zudem wäre die aktive Wahlberechtigung für Jüngere auch für die Schwellenwerte des BetrVG wichtig, also z.B. für die Zahl der Betriebsratsmitglieder oder der Freistellungen.

Zur Vertiefung des Themas ein Aufsatz unseres Bürokollegen Klaus Bertelsmann, der in der „Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht -Rechtsprechungs-Report“ (NZA-RR) in der Ausgabe 2/2017 erschienen ist. Der Aufsatz kommt zu dem Ergebnis, dass es sich schlicht um unzulässige Altersdiskriminierung Jüngerer handelt und damit um einen Verstoss gegen die EU-Richtlinie 2000/78/EG.

Wir vertreten die Auffassung, dass wegen des Verstosses von § 7 S. 1 BetrVG gegen Europarecht bereits heute schon bei Betriebsratswahlen auch die unter 18-jährigen aktiv wahlberechtigt sind. In Betrieben mit Beschäftigten auch unter 18 Jahren sollten Betriebsräte angesichts der im Jahr 2018 anstehenden BRWahlen
die unzulässige Altersdiskriminierung bei der Wahlberechtigung
thematisieren, um Diskussionen anzuregen und ggf. Initiativen anzustossen.

RA-Büro Dr. Bertelsmann & Gäbert • Osterbekstraße 90c, 22083 Hamburg • Tel: 040 - 27 13 013
www.bertelsmann-gaebert.de

Quelle: BR aktiv B&G INFO Nr. 9 - Feb 2017