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Betriebliche Altersversorgung diskriminiert Tote: BAG-Urteil

Meiningen, 2015 Foto:H.S.

05.08.2015 - von BAG + Hanne Schweitzer

Altersdiskriminierungen haben in Deutschland und Österreich deutlich zugenommen. (Link) Dass hierzulande aber selbst Tote wegen ihres Alters diskriminiert werden, haben die Richter des Bundesarbeitsgerichts in einer Grundlagenentscheidung festgestellt und deshalb ein Verbot zumindest dieser einen Diskriminierung verfügt: Sie kippten die "Spät-Ehen-Klausel" aus der betrieblichen Altersversorgung. Und kamen damit der für Ende diesen Jahres/Anfang 2016 auf der Agenda der schwarz-roten Koalition stehenden Reform der betrieblichen Altersversorgung zuvor.

Der altersdiskriminierte Tote, um den es in dem Urteil geht, verstarb mit 63 Jahren, anno 2010. Wegen seines Alters benachteiligt wurde er aber vorher, als er noch lebte. Da war er 61 und ging den Bund der Ehe mit einer Frau ein, mit der er schon seit 16 Jahren zusammenlebte.

Die Altersdiskriminierung des Verstorbenen ergibt sich nun aus dem, was in der Spät-Ehen-Klausel seiner betrieblichen Altersversorgung steht:

  • Witwen- oder Witwerrente wird nur gezahlt, wenn der verstorbene Arbeitnehmer die Ehe VOR Beginn seines 61. Lebensjahr geschlossen hat.

  • Seit nunmehr fünf Jahren begründet die Betriebsrentenkasse des Toten mit dieser "Spät-Ehen-Klausel", warum sie der Witwe des Toten keine Hinterbliebenenversorgung zahlt.

    Das Bundesarbeitsgericht hat die Klausel am 4.8.2015 gekippt. Es hat entschieden, dass sie gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstößt: Der verstorbene Arbeitnehmer wurde durch die willkürlich auf 60 Jahre festgelegte Höchstaltersgrenze fürs Heiraten wegen seines tatsächlichen Hochzeiteralters diskriminiert. Er heiratete mit 61.

    In der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts heißt es über das Urteil:
    Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin eine Hinterbliebenenversorgung zu zahlen.
    Die Klägerin ist die Witwe eines im April 1947 geborenen und im Dezember 2010 mit 63 Jahren verstorbenen ehemaligen Mitarbeiters der Beklagten.

    Diese Voraussetzung erfüllte der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht; die Ehe war erst am 8. August 2008 geschlossen worden.
    Die Beklagte weigerte sich aus diesem Grund, an die Klägerin eine Witwenrente zu zahlen.

    Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
    Die Revision der Klägerin hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.

    Die „Spätehenklausel“ ist gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der verstorbene Ehemann der Klägerin wurde durch die „Spätehenklausel“ unmittelbar wegen des Alters benachteiligt. Die Benachteiligung kann weder in direkter noch in entsprechender Anwendung von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG gerechtfertigt werden. Diese Bestimmung lässt bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit Unterscheidungen nach dem Alter unter erleichterten Voraussetzungen zu.

    Sie erfasst, soweit es um Altersgrenzen als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung geht, nur die Alters- und Invaliditätsversorgung und nicht die Hinterbliebenenversorgung und damit auch nicht die Witwen-/Witwerversorgung.
    Die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung der unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters nach § 10 Sätze 1 und 2 AGG liegen nicht vor. Die „Spätehenklausel“ führt zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer.

  • Bundesarbeitsgericht
    Urteil vom 4. August 2015 - 3 AZR 137/13 -

  • Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München
    Urteil vom 15. Januar 2013 - 7 Sa 573/12 -
  • Link: Bewag zahlt keine Witwenrente für Geschiedene
    Quelle: BAG, Pressemitteilung Nr. 40/15 vom 4.8.2015