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+++ Vorschläge zur Pflegereform der LSV Bremen

07.09.2013 - von LSV Bremen

Die Landesseniorenvertretung in Bremen hat auf ihrer Delegiertenversammlung eine Analyse der Pflegeversorgung vorgenommen und Reformvorschläge entwickelt. Sie hat dies zuvor auch für den Bereich der Gesundheitsversorgung gemacht!

Im Bereich der Pflege bestehen zwei große Problemfelder, die alles andere in den Hintergrund drängen. • Finanzielle Lösungen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen unter Beibehaltung der Pflege in der eigenen
Häuslichkeit. • Pflegenotstand, das heißt, die Probleme hinsichtlich der Personalausstattung und den Arbeitsbedingungen in der ambulanten und stationären Pflege sowie der Pflegequalität.

1. Finanzierungsprobleme
Wer zu Hause lebt und dort auf Hilfe bei der notwendigen Körperpflege, Ernährung+Mobilität dreimal am Tag für insgesamt 180 Minuten angewiesen ist und auch noch mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss bei der Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes im Durchschnitt mit zusätzlichen Kosten von 700 bis 900 € rechnen. Alle Leistungen, die auf vertraglicher Grundlage vom Pflegebetrieb mit der Pflegekasse vereinbart sind, ergeben in der Regel einen Rechnungsbetrag von 1.850 bis 2.000 € monatlich. Die höchste Leistung der Kasse an die Betroffenen liegt aber nur bei 1.100 €.

Ab Pflegestufe 2 fallen für den Durchschnittsbürger in aller Regel Zuzahlungen an, die er oft überhaupt nicht mehr aufbringen
kann. Unter bestimmten Umständen ist eine stationäre Pflege nicht mehr auszuschließen. Die Eigenleistungen in diesem Fall sind schon bei einer durchschnittlichen monatlichen Ruhestandsversorgung nicht mehr zu meistern. Nehmen wir das Beispiel eines Ehepaares:

Schon bei einer Pflegebedürftigkeit der Stufe 2 mit einer notwendigen stationären Unterbringung des Ehemannes machen
wenige Zahlen deutlich, wie prekär die Eigenfinanzierung sein kann: Das Renteneinkommen des Mannes beträgt 1.300 €uro, die
Ehefrau bezieht 780 €uro Rente. Die Ehefrau wohnt weiter zur Miete mit Kosten von 480 €uro. Da heute eine stationäre Unterbringung oft schon 3.220 €uro betragen kann (für Unterkunft, Verpflegung, Pflege etc.) und die Pflegekasse nur 1.279 €uro erstattet, bleibt eine Eigenleistung für die stationäre Pflege von 1.900 €uro. Die Eheleute haben aber gemeinsam nur 1.600 €uro - nach Mietzahlung der bestehenden Wohnung - zur Verfügung. Hier müsste das Sozialamt bereits in Vorleistung gehen, und ggf. müssten die Kinder zur Finanzierung herangezogen werden. Das ist für die Eltern eine Horrorvorstellung. Deshalb wählen die Angehörigen sehr oft die Kombination von Leistungen eines professionellen Pflegebetriebs und einer privaten Hilfe.

Es wächst die Zahl derjenigen Betroffenen und Angehörigen, die aus finanziellen Gründen nur auf die Hilfe privater Kräfte, meistens aus dem Familienkreis, setzen. Dann zahlt die Kasse 525 € monatlich (Pflegestufe 2), die aber auch nicht immer die anfallenden Kosten decken.

Bei einer zukünftigen Kostenentwicklung nach oben werden die Problemfälle erheblich zunehmen, und es werden immer mehr Menschen auf ein Altern und Sterben in Würde verzichten müssen.
Außerdem wird es durch das duale System von Kranken- und Pflegekassen mit seinen hohen Ausgaben für Verwaltungs- und
Werbekosten sowie durch den demografischen Wandel und die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen zu einer Verknappung der Mittel kommen, die nur mit Beitragserhöhungen zu meistern ist.

2. Pflegenotstand
Landesweit wird der Pflegenotstand beklagt. Er besteht hauptsächlich durch die schwierige Personal- und Arbeitssituation. Die Arbeit der Pflegekräfte wird in unserer
Gesellschaft nicht genug gewürdigt und auch nicht ihrer Bedeutung angemessen bezahlt. Schlechte Arbeitsbedingungen führen zu Überlastungen der Pflegekräfte. Es herrscht Mangel an qualifizierten Kräften, und dieser Mangel wird nicht nur wegen der steigenden Zahl älterer Menschen größer, sondern auch weil der Nachwuchs fehlt. Schon jetzt wären erhebliche Engpässe in der Personalversorgung vorhanden, wenn der Pflegedienst ohne
ausländische Hilfskräfte und ohne Unterstützung der Angehörigen auskommen müsste.

Grundpflege ist zwar für Pflegebedürftige nötig, aber Betreuungsmaßnahmen sind ebenso wichtig, und gerade hier wird sich der Personalmangel auswirken. Ohne Strukturreformen, vielleicht wie sie in den nordischen Ländern gehandhabt werden, kann der Pflegenotstand nicht beseitigt werden.
GF
(Quelle: G.Steffen, Referat Tagung Bad Zwischenahn,März 2013)

Vorschläge zur Pflegereform
(Positionspapier der Bremer Seniorenvertretung)

Die Senioren-Vertretung in der Stadtgemeinde Bremen fordert, dass in der Bundesrepublik Deutschland umgehend eine Pflegereform eingeleitet wird. Unsere Gesellschaft benötigt neue rechtliche und finanzielle Grundlagen für eine zukünftige
humane Pflege und Betreuung pflegebedürftiger Menschen.

1. Begründung:
1.1
Die Rücklagen der Pflegeversicherung seit 1995 sind fast verbraucht, die Einnahmen sollen 2013 wieder durch Beitragserhöhungen gesteigert werden. Voraussichtlich wird es unter den gegebenen Umständen auch in zukünftigen Jahren immer wieder zu Beitragserhöhungen kommen.
1.2
Die Zahl pflegebedürftiger Menschen wächst. Gegenwärtig erhalten
2,3 Mio. Menschen in unserem Land Pflegeleistungen nach SGB XI. Im Jahr 2020 werden es nach Prognosen der Politik 2,9 Mio. Pflegebedürftige sein. Schon die jetzige Mittelverknappung und der zu erwartende Zuwachs lassen sich mit dem bisherigen
Pflegesystem finanziell nicht bewältigen.
1.3
Die Kosten für Pflege steigen fortwährend und haben bereits ein
Niveau erreicht, das von vielen Bürgern/Bürgerinnen nicht mehr
bezahlt werden kann. Die Zuzahlungen sind für den Durchschnittsbürger ab Pflegestufe 2 im Regelfall nicht mehr
leistbar, und zwar sowohl bei ambulanter Versorgung im eigenen
Haushalt als auch bei stationärer Unterbringung in einem Pflegeheim.
1.4
Das duale System von Kranken- und Pflegekassen verbrennt zuviel
Geld für Verwaltungs- und Werbekosten.
1.5
Die quantitative und qualitative Versorgung Pflegebedürftiger werden sich auf Dauer unter den augenblicklichen Bedingungen verschlechtern.

2. Reform-Vorschläge:
Die Senioren-Vertretung in der Stadtgemeinde Bremen ist überzeugt, dass folgende Eckpunkte für eine Pflegereform gesetzt
werden müssten:
2.1
Eine Erneuerung der Strukturen in der Pflege ist unumgänglich. Ziel muss eine sozial gerechte Versicherung sein.
2.2
Die Bremer Seniorenvertretung fordert die Aufhebung der Trennung
von Kranken- und Pflegeversicherung. Mit dieser neuen sozial gerechten Versicherung sollen alle Bürgerinnen und Bürger zu einheitlichen Rahmenbedingungen gesetzlich versichert werden.
2.3
Die Pflegekassen sollten personell und organisatorisch nicht mehr eigenständig arbeiten, sondern mit ihren Aufgaben in die
Krankenkassen integriert werden, damit bei den knapper werdenden finanziellen Mitteln die erheblichen Verwaltungskosten des bisherigen dualen Systems eingespart werden können.
2.4
Die Beitragsbemessungsgrenze ist anzuheben, und zwar auf ein Einkommen von 10.000 € monatlich.
2.5
Die Arbeitgeber sollten am Beitrag eines Arbeitnehmers für die Pflegeversicherung zu 50% Beitrag beteiligt werden.
2.6
Möglichst viele der Pflegebedürftigen sollten in der eigenen Häuslichkeit verbleiben und durch einheitliche, bezahlbare individuelle Pflege versorgt werden, die von Ambulanzen der privaten und staatlichen Einrichtungen zu gewährleisten ist. Die stationäre Altenpflege sollte eine Ausnahme bleiben.
2.7
Kostenbeteiligungen der stationär Pflegebedürftigen dürfen 50% der eigenen Renten/ Versorgungsbezüge nicht übersteigen.
2.8
Sofern Angehörige eine Anzahl von Pflegestunden im Monat in Ergänzung der ambulanten Pflege übernehmen, sollte nach einem noch festzulegenden Schlüssel die Anrechnungsbeteiligung weiter gesenkt werden.
2.9
Die Pflegebedürftigen sollten bei Bedarf an 7 Tagen in der Woche in Tageseinrichtungen betreut werden können. Die
Räumlichkeiten und den Fahrdienst sollte die Kommune zur Verfügung stellen bzw. übernehmen. Die Krankenkassen sollten
Einrichtungen und Betreuungspersonal finanzieren. Die Senioren-Vertretung in der Stadtgemeinde Bremen ruft die Politik auf,
endlich mit einer sozial gerechten Pflegereform zu beginnen,die nicht allein den Interessen der politischen Ordnungskräfte und der Lobbyisten in der Gesundheits- und Pflege- und
Versicherungswirtschaft entspricht, sondern zumindest in gleichem Umfang, wenn nicht sogar überwiegend den Möglichkeiten
und Bedürfnissen der Menschen, die Pflege in Anspruch nehmen müssen, und ihrer Angehörigen dient.

(Quelle: Beschluss der Delegiertenversammlung vom 20.8.2013)

Link: +++ LSV Bremen: Vorschläge zur Gesundheitsreform
Quelle: Durchblick Nr. 164 - September 2013