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DGB/IG-Bau: Neue Altersgrenze für Versichertenälteste

05.03.2012 - von Hanne Schweitzer

Die Gewerkschaft "Bauen-Agrar-Umwelt" diskriminiert ihre "Versichertenältesten". Versichertenälteste beraten alle, die es wünschen, völlig kostenlos bei Fragen zur Rentenversicherung. Sie geben Hilfestellung beim Ausfüllen von Anträgen auf Rente oder Witwenrente. Seit 2011 gilt für sie in Berlin-Brandenburg eine neue Altersgrenze von 70 Jahren. Versichertenälteste der Deutschen Rentenversicherung sind ehrenamtlich tätig. Sie werden von diversen Organisationenen bei den Sozialwahlen als Kandidaten aufgestellt und anschließend vom höchsten Organ der Deutschen Rentenversicherung ernannt, das ist die Vertreterversammlung.

Herr Z. ist Gewerkschaftsmitglied und war in den vergangenen Jahren als Versichertenältester der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg aktiv. Er wollte, weil er gesund und munter ist, diese ehrenamtliche Aufgabe weiter ausüben. Vor den Sozialwahlen im vergangenen Jahr bekommt er aber im Juni einen Brief von "seiner" Gewerkschaft, der IG-Bau, die ihn bisher als Versichertenältesten-Kandidat bei den Sozialwahlen aufgestellt hatte. Der stellvertretende Regionalleiter der IG-Bau für Berlin-Brandenburg dankt Herrn Z. zunächst für sein "ehrenamtliches Engagement". Dann kommt er zur Sache: "Der Arbeitskreis Sozialpolitik des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg hat sich auf mehreren Sitzungen ausführlich mit den Kriterien für die Kandidatenauswahl der Versichertenältesten beschäftigt. Insgesamt werden von den derzeit aktiven Versichertenältesten im Jahr 2012 32 über 70 Jahre alt sein. Deswegen ist vereinbart worden, dass zur Wahl Kandidaten vorgeschlagen werden, die am 1.1.2012 nicht über 70 Jahre alt sind. Aus diesem Grund, dafür bitten wir sehr um Dein Verständnis, können wir Dich nicht erneut als Versichertenältesten vorschlagen. Wir denken, es ist auch in Deinem Sinne, diese Aufgabe an jüngere Kolleg(inn)en zu übertragen."

Herr Z., seit 54 Jahren Mitglied der IG Bau, nimmt es nicht hin, auf diese Weise abserviert zu werden. Er schreibt mehrere Briefe an "seine" Gewerkschaft. Darin vertritt er die Auffassung, dass seine Ablehnung als Kandidat von der IG-Bau in einem persönlichen Gespräch hätte geklärt werden müssen. Ausserdem erinnert er daran, dass gerade die in der Beratung schon erfahrenen, tatsächlich älteren Versichertenältesten für die Träger der Rentenversicherung von Vorteil sind, weil sie als Rentner keine Lohnfortzahlung bei den Schulungen erhalten.

Das Lob seiner ehrenamtlichen Arbeit kontert er so: "In der Öfffentlichkeit werden ständig ehrenamtliche Menschen hoch gelobt - egal wie alt sie sind - und nicht nach Vorschlag des Arbeitskreises des DBG zum alten Eisen geworfen." Herr Z. ist ausserdem der Ansicht, dass die Vereinbarung des Arbeitskreises für die Einzelgewerkschaften nicht verbindlich ist, die IG Bau also anders hätte entscheiden können- wenn sie denn gewollt hätte.

Im September 2011 erhält Herr Z. eine Anwort vom Kollegen Wiesehügel, seines Zeichens Bundesvorsitzender der IG-Bau. "... Ehrenamtliches Engagement ist", schreibt dieser,"ein wichtiger Pfeiler unserer demokratischen Gesellschaft. Wir brauchen Bürger, die ganz vielfältige Funktionen in Vereinen, Parlamenten und bei den Versicherungsträgern wahrnehmen und somit zum Zusammenhalt der Menschen beitragen. ... Ohne die verschiedenen Formen von Mitarbeit ist unsere heutige demokratische Gesellschaft nicht überlebensfähig. ... Zu Recht fragst Du Dich, warum Du diese Funktion nun nicht mehr ausfüllen kannst, obwohl du körperlich und geistig dazu in der Lage bist. Zur Demokratie gehört, dass man Beschlüsse akzeptiert, auch wenn sie einem persönlich nicht passen. An diese Beschlüsse sind wir alle gebunden. Der DGB Bezirk Berlin-Brandenburg hat mit Unterstützung der IG-Bau entschieden, dass bei den Sozialwahlen 2011 nur noch Kandidaten vorgeschlagen werden, die am 1.1.2012 nicht über 70 Jahre alt sind. Ich bitte Dich, diesen Beschluss zu akzeptieren und um Verständnis, dass der gefasste Beschluss keine Geringschätzung der Arbeit älterer Kollegen darstellt."

Im Dezember, Herr Z. hat sich inzwischen an die Antidiskriminierungstelle des Bundes gewandt, schickt diese einen Brief an den Bundesvorstand des DGB. Sie bittet den Deutschen Gewerkschaftsbund "auch wenn uns bewusst ist, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht auf Ehrenämter Anwendung findet, wegen des Altersbezuges im Beschluss Stellung zu nehmen."
***

  • Herr Z. hat "seine" Gewerkschaft, die IG-Bau inzwischen verlassen und seine Mitgliedschaft, die länger als ein halbes Jahrhundert bestand, zum 1.1.2012 gekündigt.
  • Am 4. März 2012 liegt Herrn Z. noch keine Antwort des DBG bw. der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zvor.
  • Wie zu hören ist, hat sich, ausser der IG-Bau, keine andere Einzelgewerkschaft an die "auf mehreren Sitzungen" beratene Vereinbarung der diskriminierenden Altersgrenze von 70 Jahren für Versichertenälteste gehalten.
  • Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat seit Februar 2012 im Land Brandenburg weniger Versichertenälteste als zuvor. Das wirkt sich in einem dünn besiedelten Flächenland besonders nachteilig für Ratsuchende aus.
  • Eine Expertenkommission zum Thema Alter, einberufen von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, soll bis November 2012 konkrete Vorschläge und Handlungsempfehlungen zum Abbau von Altersdiskriminierungen vorlegen. Die derzeit namentlich bekannten sieben Frauen und 11 Männer sollen "Gesetze daraufhin überprüfen, ob sie hinsichtlich der Altersgrenzen zeitgemäß (!) sind und Verbesserungsvorschläge für die Bereiche Bildung,Gesundheit und Arbeitsleben erarbeiten." Altersgrenzen im Ehrenamt: Fehlanzeige. Sie sind nicht Thema des Gremiums, in das auch der DGB einen Vertreter geschickt hat.


  • Die Mitglieder des Gremiums finden Sie unter:
    http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/Projekte_ADS/themenjahr_alter/fachkommission/expertenkommission_node.html

    Link: Ehrenamtliche sollten auf der Treppe sitzen
    Quelle: diverse

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