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Lebensmittelskandal: Wunderwaffe Verbraucher???

18.02.2011 - von Gerd Feller

Es ist schon erstaunlich, wie die politisch Verantwortlichen, aber auch die Medien mit der erneuten Dioxin-Vergiftung von Futter- und Lebensmitteln umgegangen sind. Da wurde z.B. den Verursachern der Misere nur stereotyp ein „hohes Maß an krimineller Energie“ vorgehalten. Diese sehr allgemeine Formulierung bezeichnet zwar eine der Ursachen eines kriminellen Verhaltens, nämlich die Bereitschaft, Gesetze und Vorschriften zu mißachten und zur eigenen Bereicherung Menschen Schaden zuzufügen.

Aber es erfolgt keine Beurteilung des Tatbestandes. Man scheut sich, die Dinge deutlich beim Namen zu nennen. Das Handeln
derjenigen, die aus lauter Gier betrügen und die Vergiftung von Futter- und Nahrungsmitteln in Kauf nehmen, erfüllt für mich den
Straftatbestand der vorsätzlichen schweren Körperverletzung, auch wenn sich gesundheitliche Schäden hinsichtlich ihrer Ursachen beim Verbraucher nur schwer oder erst viel später nachweisen lassen. Solche verantwortungslosen Unternehmer sind in meinen Augen schlicht Verbrecher.

Was die Medien angeht, so ist es ebenso erstaunlich, dass zwar über das Herumeiern der Verbraucherschutzpolitiker/-innen sowie
über das ökonomische Leiden der Landwirte ausführlich berichtet wurde, jedoch die latente gesundheitliche Gefährdung der Verbraucher nur als Randerscheinung eine Rolle spielte.

Absurd wird es allerdings, wenn in Zeitungen und Talkshows ausgerechnet der Verbraucher, das schwächste Glied am Ende der Nahrungsmittelkette, sowohl verantwortlich gemacht und zugleich zur Wunderwaffe erklärt wird. Er soll es richten.

So geht M. Lüdecke in seinem Artikel „Essen und vergessen – auf Empörung folgt Konsum-Routine“ (Weser-Kurier v. 09.01.2011,
S.1) auf die Ausführungen des Professors für Management im Handel Peter M. Rose ein. Dieser wirft dem Konsumenten vor, durch
inkonsequentes Kaufverhalten dem Betrug im Nahrungsmittelhandel Vorschub zu leisten. Peter M. Rose hält deshalb sogar eine langfristige Änderung der Zustände für unwahrscheinlich.

Ähnliches war in der Sendung von Anne Will (ARD, 09.01.2010, 21.45Uhr) zu hören, und da kamen auch wieder die alten Vorwürfe, der Konsument verhalte sich nicht angemessen genug. Und die Landwirtschaftslobby, voran der ehemalige niedersächsische Landwirtschaftsminister Funke, übte sich im Herunterspielen der Misere und in der Verbreitung der Einzelfall-Ideologie. Bei dieser Sichtweise wird ja wohl einiges vergessen.

Jeder Mensch, unabhängig vom Geldbeutel, hat ein Recht auf Gesundheit und damit auch auf gesunde Ernährung. Wenn P.M.Rose sagt: „Jeder hält sich für ökologisch, aber keiner will dafür bezahlen“ (vgl. WK, S.1), dann äußert er sich für einen Hochschulprofessor ziemlich undifferenziert. Er vergisst diejenigen, die durch das niedrige Lohngefüge und die zunehmende Armut in unserem Land nicht in der Lage sind, sich konsequent höherwertige und deshalb teure Nahrungsmittel zu kaufen. Er scheint auch kein Verständnis dafür zu haben, dass selbst sozial schwächere Menschen in unserer werbungsbestimmten Wohlstandsgesellschaft sich ab und zu einen anderen Wunsch als nur gesundes Essen erfüllen und damit am gesellschaftlichen Leben teilhaben möchten. Und da er auf Gammelfleischskandale
hinweist, müsste er auch wissen, dass höhere Preise gerade im Nahrungsmittelkorb keineswegs die Garantie für eine bessere Qualität sind. Wie oft wurde schon festgestellt, dass nicht immer „Bio“ drin ist, wo „Bio“ draufsteht!

Ganz besonders Schlaue raten dem Verbraucher, er möge doch gefälligst lesen, was auf den Packungen etc. ausgezeichnet sei,
und dann danach über den Kauf entscheiden. Ein toller Ratschlag, allerdings realitätsfern!

1.
Auf den Etiketten steht sicher nicht, unter welchen Bedingungen das Nahrungsmittel produziert wurde und welche Giftstoffe es enthält.
2.
Der Konsument, der in der Regel schon mit den Mühen seines Alltags genug zu tun hat, müsste sich nicht nur mit den Strukturen
des Nahrungsmittelgewerbes befassen, um die einfallsreichen Tricks der Branche zu durchschauen, sondern ebenso Erkundigungen über die Integrität der jeweiligen Produzenten einziehen, damit er beim Einkauf die Sicherheit und das Preis-Leistungs-Verhältnis richtig einzuschätzen vermag. Ob dazu die Einführung eines Schulfachs „Nahrungsmittelkunde“ ausreicht, wie der Koch Christian Rach in der o.a. ARD-Sendung zum Besten gab?

Müssten dann nicht noch weitere Fächer zur Bewältigung des modernen Bürgerlebens etabliert werden, z.B. Bankwesenkunde oder
ein Universalfach „Wirtschaftskriminalistik“?
3.
Vom Konsumenten wird wohl erwartet, dass er voller Leselust und Bildungseifer die kleinstgedruckten Inhaltsstoffe lesen kann und auch liest, sich dazu grundsätzlich mit einer Lupe ausrüstet und zugleich auch aufgrund einer Fortbildung in Nahrungsmittelchemie alles versteht, wovon die Rede ist, z.B. wie sich die Stoffe zusammensetzen, wo die Gefährdung seiner Gesundheit anfängt und wie sie aussehen könnte. Er müsste auch die entsprechende Zeit mitbringen.
4.
Die o.a. Berater gehen davon aus, dass jeder Käufer zum Lesen genügend Zeit und Ruhe habe. Dann wäre jedoch angemessen,
Supermärkte zu ansprechenden Lesesälen mit Sitzecken auszugestalten, analog den Umkleidekabinen in Klamottenläden, vielleicht auch mit Personal, das zu gemütlichen Etikett- Lesestunden einlädt. Das würde besonders den behinderten Menschen und den Seniorinnen/ Senioren entgegenkommen, die nicht so ausdauernd vor jedem Regal lesend herumstehen können. Ein Gläschen Sekt im Angebot würde zur Beschwichtigung derjenigen Gemüter beitragen, die ungeduldig oder wegen ihrer Verständnisprobleme verärgert reagieren.

Aber mal im Ernst: Die Möglichkeiten des Verbrauchers, sich selbst zu schützen, halten sich in viel zu engen Grenzen, als dass Politik und Staat ihm dieses Geschäft quasi als Privatisierung des Verbraucherschutzes aufbürden könnten. Wenn die Medien kommentieren, dies sei nicht der erste und letzte Nahrungsmittelskandal in Deutschland, so klingt das sehr resignativ. Armes Deutschland, wenn es denn so sein sollte!

Aber das liegt nicht hauptsächlich beim Konsumenten. In unserer superkapitalistischen Gesellschaft ist zunehmend jeder sich selbst der Nächste und werden Geschäfte, Geld und Macht höher eingeschätzt als Anständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und gesellschaftliche Solidarität. Christliche Nächstenliebe scheint inzwischen überwiegend auf kirchliche Festtage und Möglichkeiten öffentlicher Selbstdarstellung beschränkt zu sein. Zudem nimmt das Unrechtsbewusstsein ab. Die Kontrollen zur Schadensvermeidung haben sich als unzureichend erwiesen. Die Politik will sich nicht mit der Nahrungsmittelindustrie anlegen und schafft schwammige Verordnungen und Gesetze, so dass die gesundheitlichen Risiken der Verbraucher größer sind als die Risiken der Hasadeure im Nahrungsmittelgewerbe. Hier zeigt sich inkonsequentes und wenig
nachhaltiges Handeln in Politik und Verwaltung. Verantwortung tragen im Wesentlichen die Politik, die staatlichen Organe und
diejenigen, die in der Öffentlichkeit die Schweinereien und deren Verursacher nicht deutlich beim Namen nennen. Die Senioren-
Vertretung sollte sich dafür einsetzen, dass sich etwas ändert!
Arroganz hilft nicht weiter!

Link: Gedicht: Alten-Heim-Küche…
Quelle: Durchblick , Ausgabe Februar 2011

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