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Auswirkungen der schwarz-gelben Gesundheitspolitik

29.10.2010 - von Theresa Schopper, MdL

Ein Jahr schwarz-gelbe Gesundheitspolitik – Auswirkungen
auf Bayern. Dazu ein Fazit der Grünen aus Bayern:

Aggressiv und kämpferisch ist die FDP in den Bundestagswahlkampf 2009 gezogen. Von den vollmundigen Versprechungen ist sie mittlerweile abgerückt: statt Steuersenkungen ist nun eine Steuerfinanzierung des Solidarausgleichs im Gesundheitswesen durch Steuererhöhungen in der Debatte, im Koalitionsvertrag steht noch, dass die hausarztzentrierte Versorgung unverändert erhalten bleiben soll – nun streitet schwarz-gelb ob sie zur Disposition gestellt werden soll, von den MVZs, die nur noch in ärztlicher Trägerschaft gegründet werden sollten, haben wir lange nichts mehr gehört.

Von den Kampfbegriffen ist nicht mehr viel übrig. Die Bilanz nach einem Jahr schwarz-gelber Gesundheitspolitik lautet: Weniger Solidarität, weniger Gerechtigkeit, die gesetzlich Versicherten sind die Zahlmeister des Systems – aber für bestimmte Lobbygruppen ist laufend Bescherung. Nach den Hoteliers und der Atomlobby dürfen sich nun Pharmaunternehmen und die Private Krankenversicherung (PKV) ihre Geschenke abholen.

In der Gesundheitspolitik dagegen geht es weiter in Richtung Zwei-Klassen-Medizin: Mit der geplanten Gesundheitsreform wird klar, dass sich künftig Krankenversicherung und Solidarität ausschließen. Ab 2012 sollen die Steigerungen der Gesundheitsausgaben nur noch von den ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen bezahlt werden. Die Arbeitgeber werden davon ausgenommen. Wie der geplante Sozialausgleich der dabei anfallenden pauschalen Zusatzbeiträge finanziert werden soll, ist weitgehend ungeklärt.

Während die Koalitionspartner auf der Finanzierungsseite der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ansetzen, wird der notwendige Strukturwandel vermieden. Bestehende Ungerechtigkeiten vertiefen sich noch: ein hoher Einheitsbeitrag garniert mit Zusatzbeiträgen und einer Verlagerung von Leistungen in Zusatzversicherungen, die nur von der PKV angeboten werden dürfen, stärken die PKV und schädigen das Solidarsystem der GKV.

Dieser Politik treten wir mit einer solidarischen Gesundheitspolitik entgegen, in welcher der Mensch im Mittelpunkt steht, die eine qualitativ hochwertige und nachhaltige Gesundheitsversorgung für alle garantiert, auf Prävention setzt, die Schwächsten entlastet und starke Schultern stärker in die Pflicht nimmt. ...

Demontage der GKV
Bei den Verhandlungen haben die FDP und der Wirtschaftsflügel der CDU über Bande gespielt. Die weitgehende Entlassung der Arbeitgeber aus der solidarischen Finanzierung, die Auslagerung des Solidarausgleichs aus der GKV und die Stärkung der PKV standen weit oben auf der Agenda. Dazu passt auch, dass Schwarz-Gelb prüfen will, ob sich das vom Zahnersatz bekannte Festzuschusssystem auf andere Leistungsbereiche übertragen lässt. Das liefe auf die von der FDP seit langem geforderte Basisversorgung hinaus. Alle darüber hinaus gehenden Leistungen müssten die PatientInnen dann aus eigener Tasche oder über Zusatzversicherungen bezahlen. Die PKV soll das Monopol über Zusatzleistungen wie Chefarztbehandlung oder Ein-Bett-Zimmer erhalten und schädigt damit weiter die GKV.

Rechte Tasche – linke Tasche: Echte Strukturreformen haben nicht stattgefunden
Eine stabile Zukunftssicherung unserer Gesundheitsversorgung gibt es nur, wenn man sich an echte Strukturreformen wagt. Sowohl auf der Einnahme- als auch auf der Ausgabeseite sind tiefgreifende Reformen nötig. Die hat Minister Rösler bis jetzt aber vermieden: Das GKV-Finanzierungsgesetz sorgt lediglich für eine kurze Verschnaufpause auf der Einnahmeseite – Konsolidierung sieht anders aus. Schon wenn das Gesetz am 1.1.2011 in Kraft tritt, müsste es wieder auf dem Prüfstand stehen.

An der Grundproblematik in unserem Gesundheitswesen, dass auf der Ausgabeseite zu viel Geld in unwirtschaftlichen und qualitativ unzureichenden Versorgungsstrukturen versickert, wurde nichts geändert. Die Trennung in Versorgungssektoren bleibt erhalten, multiprofessionelle Zusammenarbeit wird nicht befördert, Sektorenübergreifende Behandlungspfade und erfolgsbezogene Vergütungssysteme haben keinen Eingang in die Beratungen gefunden.

Ebenso wurden für die Sicherung der wohnortnahen gesundheitlichen Versorgung keine schlüssigen Konzepte vorgelegt. Dabei ist sie eine der zentralen Herausforderungen zukünftiger Gesundheitspolitik und insbesondere für weniger mobile Personengruppen wie ältere Menschen und Kinder von Bedeutung. Bei sozial benachteiligten Gruppen kommt dem Abbau von Zugangshemmnissen und finanziellen Hürden wie der Praxisgebühr eine besondere Bedeutung zu. Auch aufsuchende Dienste sind wichtig, damit die gesundheitlichen Hilfen die Menschen auch erreichen.

Reform der (ärztlichen) Bedarfsplanung
Zu einer Modernisierung der Versorgungsstrukturen gehört mindestens eine Reform der ärztlichen Bedarfsplanung. Es wird immer deutlicher, dass die starren Strukturen im ambulanten Sektor eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung behindern. Die Ermittlung von Durchschnittswerten je Planungsbereich erfasst die tatsächlich vorhandenen regionalen Unterschiede nicht mehr, deshalb kommt es trotz bedarfsplanungsrechtlicher Überversorgung zu wachsenden lokalen Versorgungsproblemen. Problematisch ist zudem, dass die Bedarfsplanung keine übergreifende, an der Zahl, Sozialstruktur und der Morbidität der Bevölkerung orientierte Versorgungsplanung beinhaltet, sondern nur den ambulanten Sektor umfasst, undifferenziert eine bestimmte Arztzahl fortschreibt und andere Berufsgruppen z.B. der Pflege oder Rehabilitation nicht berücksichtigt. Auf dem Papier gibt es in Bayern keine unterversorgten Regionen. In der Realität warten Kinder mit psychischen Auffälligkeiten Wochen und Monate auf einen Termin bei einem Kinder- und Jugendpsychiater.

Notwendig sind echte Strukturreformen, die die Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Versorgung insbesondere in ländlichen Regionen schaffen. Diese Strukturreformen erfordern jedoch die Bereitschaft aller Akteure im Gesundheitswesen, sich auf Veränderungen einzulassen.

Honorardebatten und kein Ende in Sicht
Solange dieser zentrale Schritt nicht vollzogen wird, kommen wir aus der aktuellen ärztlichen Honorardebatte nicht heraus. Immer mehr Geld an immer mehr Ärzte auszuschütten und trotzdem schlecht versorgte Regionen zu produzieren, sollten wir uns nicht länger leisten. Aus dem Gesetzentwurf zur GKV-Finanzierung wurde der Passus zur Niederlassungssteuerung mit der Zielrichtung Versorgung ländlicher Regionen durch Honoraranreize, die ab 2011 in Kraft treten sollte, wieder gestrichen. Das heißt einer auf ein Reform-Ziel im Sinne der Versicherten gerichteten
Auseinandersetzung mit Lobbygruppen geht der Minister konsequent aus dem Weg.

Reform der Einnahmeseite – grüne Bürgerversicherung
Während Minister Rösler Lobbygeschenke an Ärzte und die PKV verteilt, wollen wir die Gesundheitspolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Uns geht es in der Gesundheitspolitik um grundsätzliche gesellschaftliche Gerechtigkeitsfragen – nicht um das Bedienen von Einzelinteressen. Qualität spielt für uns eine entscheidende Rolle und wir betrachten sie als ein zentrales Steuerungskriterium für die Gesundheitsversorgung. Eine möglichst gute Versorgung, bei der alle Beteiligten sinnvoll, koordiniert und unbürokratisch zusammenwirken, ist unser Ziel.

Dafür steht das Konzept der Grünen Bürgerversicherung. Die Versicherten können entlastet und mehr Nachhaltigkeit in die Finanzierung unseres Gesundheitssystems gebracht werden. Die Bürgerversicherung bringt mehr Solidarität ins Gesundheitswesen: kein anderes europäisches Land leistet sich die Schwächung der Versorgung indem sie Gutverdienern und jungen gesunden Versicherten erlaubt, sich dem Solidarsystem zu entziehen.

Arzneimittelversorgung muss keine bittere Pille sein
In Deutschland kosten viele Arzneimittel deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern, da die Pharmaindustrie bei patentgeschützten Medikamenten die Preise frei festlegen kann. Jedes neu zugelassene Medikament muss von der Krankenkasse bezahlt werden. Dies führt dazu, dass massiven Preissteigerungen sehr oft kein (Zusatz-)Nutzen gegenüber steht. Die Profiteure sitzen in der Pharmaindustrie und freuen sich über ihre hohen Gewinnmargen. Die Versicherten haben das Nachsehen.

Nutzenbewertung: Umkehr der Beweislast führt zu Kostensteigerungen im Gesundheitswesen
Die Vorschläge der Bundesregierung sehen zum Nachteil der Versicherten keinen Mechanismus vor, der dafür sorgt, dass die Nutzenbewertung Auswirkungen darauf hat, welche Medikamente durch die Krankenversicherungen erstattet werden. Diese Schwachstelle wollen wir mit dem international geläufigen Instrument der Positivliste schließen. Wir Grüne unterstützen den Ansatz einer möglichst frühen Nutzenbewertung von Medikamenten. Geht es allerdings nach der Koalition, sollen diese Bewertungen nur als Basis für Preisverhandlungen zwischen Herstellern und Krankenkassen dienen.

Teure Geschenke an die Pharmalobby auf Kosten der Versicherten
Die Preise sollen auf der Basis einer ersten Nutzenbewertung sofort zwischen Herstellern und Kassen verhandelt werden – stellt sich der Preis später als überhöht heraus, erhöht sich die Gewinnspanne der Pharmaindustrie. Ein später als überhöht erwiesener Preis muss jedoch zu Rückzahlungen an die Krankenkassen führen. Die Schnellbewertung des Nutzens von Arzneimitteln muss standardisiert, transparent und von unabhängiger Seite, dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), erstellt werden. Auch für wichtige, bereits auf dem Markt befindliche Arzneimittel ist eine Bewertung vorzunehmen. Statt im Interesse der PatientInnen und Versicherten der Pharmaindustrie Grenzen zu setzen, hat sich die Koalition dafür entschieden, dass nicht die Hersteller den Nutzen ihrer Medikamente zu belegen haben, sondern der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium aus Krankenkassen, ÄrztInnen, Krankenhäusern und - beratend -PatientInnen) die Unzweckmäßigkeit eines Arzneimittels beweisen soll.

Eine ausführliche Bewertung von Nutzen und Kosten sollte nach den Ergebnissen der Versorgungsforschung unter Alltagsbedingungen erfolgen. Eine tragfähige Bewertung des Nutzens und der Kosten setzt voraus, dass alle Informationen zu diesem Medikament einbezogen werden und nicht, wie bisher, unliebsame Studienergebnisse in den Schubladen verschwinden. Pharmaunternehmen sollen verpflichtet werden, alle Arzneimittelstudien registrieren zu lassen und deren Resultate zu veröffentlichen.

Prävention?
Alle reden von Prävention – passiert ist bis jetzt nichts. Hier hat Schwarz-Geld ihre ohnehin nicht besonders hochwertigen Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag noch deutlich unterboten. Schon im Koalitionsvertrag wird die Diskussion der letzten 20 Jahre faktisch ignoriert. Geschlechtersensibilität, Lebensweltorientierung, die besondere Ausrichtung auf sozial Benachteiligte – all das war den Koalitionspartnern kein Wort wert und so ist es bis heute geblieben.

Die Gesundheitsförderung führt weiterhin eine Randexistenz in unserem Gesundheitswesen. Das dringend notwendige Präventionsgesetz wird es mit Schwarz-Gelb nicht geben. Die vielfältigen Herausforderungen der demografischen Entwicklung machen eine stärkere Gesundheitsförderung nötig. Jedes Jahr, das eine chronische Erkrankung später eintritt oder milder verläuft nützt den Betroffenen in ihrer Lebensqualität und trägt dazu bei, dass unser Gesundheitssystem finanzierbar ist.

Pflege:
Alte Menschen möchten oft gar nicht in ein Pflegeheim. Sie möchten so lange wie möglich selbstbestimmt und selbstständig in ihren eigenen vier Wänden leben können. Wenn durch gezielte Aktivierung und Prävention Pflegebedarfe später eintreten ist den Betroffenen geholfen und die Finanzierbarkeit unseres Systems wird auch auf lange Sicht eine realistische Option.

Fazit für die Gesundheitsversorgung der Zukunft
Um medizinische Versorgung zu gewährleisten und auch die Beitragssätze in einem finanzierbaren Rahmen zu halten, brauchen wir einerseits weiterhin Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auf der anderen Seite brauchen wir ein Umsteuern im Ausgabenbereich. Auf Seiten der Patienten müssen wir die Eigenverantwortung stärken, um Krankheiten zu vermeiden und dies vor allem durch Prävention fördern und unterstützen. Dies darf keine Sonntagsrede bleiben, die im Rahmen der Reformen immer unter den Tisch fällt.

Bundes- und Staatsregierung haben diese entscheidenden Strukturveränderungen wieder einmal auf die lange Bank geschoben und statt dessen den einfachsten Weg gewählt: Sie haben zwar viel über Reform geredet, aber sich letztlich darauf beschränkt, die Beitragssätze zu erhöhen, um dem Lobbygestrüpp im Gesundheitswesen aus dem Weg zu gehen. Doch diese Rechnung, die ungelösten Probleme immer weiter den Versicherten aufzubürden, wird in Zukunft nicht mehr aufgehen. Das Beschreiten der neuen Wege duldet keinen Aufschub mehr, denn nur wer heute umsteuert, sichert die Zufriedenheit und die Qualität der gesundheitlichen Versorgung in Zukunft.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/admin/artikel_editieren.php?artikelID=3017
Quelle: Pressestatement, 29.10.2010 Die Grünen in Bayern