Diskriminierung melden
Suchen:

Direktversicherung: Teilerfolg beim Verfassungsgericht

28.09.2010 - von Hanne Schweitzer

Zuerst die gute Nachricht: Hat ein Arbeitnehmer seine Direktversicherung, die sein Abeitnehmer für ihn abgeschlossen hatte, nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb selbst fortgeführt, und zwar unter Einrücken in die Stellung des Versicherungsnehmers, ist mit der Vertragsübernahme durch den Arbeitnehmer der Kapitallebensversicherungsvertrag vollständig aus dem betrieblichen Bezug gelöst worden. Er unterscheidet sich dann hinsichtlich der noch erfolgenden Einzahlungen nicht mehr von anderen privaten Lebensversicherungen. Die selbst gezahlten Beiträge sind dann weder in der Kranken- noch in der Pflegeversicherung beitragspflichtig. (1 BvR 1660/08)

Anders ist es, und das ist die schlechte Nachricht, wenn der Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb nicht in die Stellung des Versicherungsnehmers eingerückt ist. Dann unterliegt die Direktversicherung der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung selbst dann, wenn sie nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenleistungen des versicherten Arbeitnehmers finanziert worden ist. (Verfahren 1 BvR 739/08)

Das entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 15.10.2010 veröffentlichten Beschluss und hob damit bei der guten Nachricht eine anderslautende Entscheidung des Bundessozialgerichts auf, in dem die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen wurde.

In der Pressemitteilung teilt das Bundesverfassungsgericht unter der Überschrift "Zur Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner aus Kapitalleistungen einer betrieblich abgeschlossenen Lebensversicherung bei teilweiser Prämienzahlung durch den Arbeitnehmer" folgendes erläuternd mit:

Gemäß § 229 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 5 SGB V sind Renten der betrieblichen Altersversorgung der Altersrente vergleichbare Einnahmen, aus denen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner abgeführt werden. Das gilt nach § 229 Absatz 1 Satz 3 SGB V in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung auch dann, wenn eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden war.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen mit der Frage befasst, ob die Erhebung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen auch bei Leistungen aus einer vom Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers geschlossenen Kapitallebensversicherung verfassungskonform ist, wenn deren Prämien teilweise vom Arbeitnehmer selbst entrichtet wurden.

Die Beschwerdeführer sind Rentner. Zu Ihren Gunsten hatte ihr jeweiliger Arbeitgeber Ende der 70er bzw. Mitte der 80er Jahre eine Betriebsrente im Wege der Direktversicherung als Kapitallebensversicherung abgeschlossen und zunächst selbst die Versicherungsbeiträge an den Versicherer entrichtet; im Verfahren 1 BvR 739/08 führte der Arbeitgeber die Prämien direkt aus dem sozialversicherungspflichtigen Gehalt des Beschwerdeführers ab. In beiden Fällen übernahmen die Beschwerdeführer nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis die Prämienzahlung an den Versicherer. Während im Verfahren 1 BvR 739/08 der frühere Arbeitgeber Versicherungsnehmer blieb,übertrug im Verfahren 1 BvR 1660/08 der Arbeitgeber alle Rechte aus dem Versicherungsvertrag auf den Beschwerdeführer als neuen Versicherungsnehmer.

Nach der Auszahlung der einmaligen Kapitalleistung aus der
Lebensversicherung an die Beschwerdeführer setzte die Krankenkasse in beiden Fällen hierauf monatliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge fest, wobei auch der durch eigene Prämienzahlung der Beschwerdeführer erwirtschaftete Anteil einbezogen wurde. Die gegen die Beitragserhebung gerichteten Klagen der Beschwerdeführer blieben vor den Sozialgerichten ohne Erfolg.

Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat im Verfahren 1 BvR 739/08 die gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen; eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Grundrechten ist hier nicht gegeben.

Im Verfahren 1 BvR 1660/08 hat das Bundesverfassungsgericht dagegen festgestellt, dass die angegriffenen Entscheidungen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Auf die Verfassungsbeschwerde ist das Urteil des Bundessozialgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Bundessozialgerichtzurückverwiesen worden.

Den Entscheidungen liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1.
Die Einbeziehung der nicht wiederkehrenden Versorgungsleistungen in die Beitragspflicht nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V, der auch Kapitalleistungen aus der betrieblichen Direktversicherung unterfallen, verstößt nicht gegen die wirtschaftliche Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Sie ist den betroffenen Versicherten zumutbar, weil der Gesetzgeber berechtigt ist, jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen.

2.
Die Erhebung von Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner verletzt auch dann weder die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG noch die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der betroffenen Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG, wenn - wie im Verfahren 1 BvR 739/08 - die Versorgungsbezüge aus dem Nettoarbeitsentgelt finanziert worden sind, das bereits mit Krankenversicherungsbeiträgen belastet wurde. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt, da den gezahlten Pflichtbeiträgen der umfassende und unbegrenzte Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung gegenübersteht und zwar nicht nur während des Erwerbslebens, sondern auch nach dem Eintritt in den Ruhestand. Die Äquivalenz von Beitrag und Risikoabsicherung ist durch einen Beitrag auf berufsbezogene Versorgungsbezüge des Rentners nicht gestört.

3.
Des Weiteren ist es mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Leistung aus einer stets vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer geführten Direktversicherung der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann unterliegt, wenn sie nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenleistungen des versicherten Arbeitnehmers finanziert worden ist.

So verhält es sich im Verfahren 1 BvR 739/08. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers liegt hier nicht vor. Das Betriebsrentenrecht qualifiziert auch die ausschließlich arbeitnehmerfinanzierte Direktversicherung als betriebliche Altersversorgung. Voraussetzung hierfür ist, dass der Versicherungsvertrag durch den Arbeitgeber abgeschlossen wurde und er - anders als beim privaten Lebensversicherungsvertrag - Versicherungsnehmer ist. Hierbei handelt es sich um ein geeignetes Kriterium, um beitragspflichtige Versorgungsbezüge und beitragsfreie private Lebensversicherungen voneinander abzugrenzen.

Hinsichtlich solcher Beiträge, die der Beschwerdeführer nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis auf die Direktversicherung eingezahlt hat, ist der Berufsbezug noch insoweit gewahrt, als der Arbeitgeber die Direktversicherung als Versicherungsnehmer innerhalb der institutionellen Vorgaben des Betriebsrentengesetzes fortgeführt hat.

Der Beschwerdeführer hat sich den institutionellen Rahmen der Direktversicherung im Sinne des Betriebsrentengesetzes zunutze gemacht, so dass auch hieraus erwirtschaftete Erträge noch als Versorgungsbezüge qualifiziert und damit zu Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner herangezogen werden können.

4.
Das Bundessozialgericht überschreitet jedoch die Grenzen zulässiger Typisierung und verstößt damit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, soweit es im Verfahren 1 BvR 1660/08 auch diejenigen Kapitalleistungen der Beitragspflicht unterwirft, die auf Beiträgen beruhen, die ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit auf den Lebensversicherungsvertrag unter Einrücken in die Stellung des Versicherungsnehmers eingezahlt hat. Denn mit der Vertragsübernahme durch den Arbeitnehmer ist der Kapitallebensversicherungsvertrag vollständig aus dem betrieblichen Bezug gelöst worden und unterscheidet sich hinsichtlich der dann noch erfolgenden Einzahlungen nicht mehr von anderen privaten Lebensversicherungen. Soweit das Bundessozialgericht die Einzahlungen auf private Lebensversicherungsverträge allein deshalb der Beitragspflicht Pflichtversicherter unterwirft, weil die Verträge ursprünglich vom Arbeitgeber des Bezugsberechtigten abgeschlossen wurden und damit dem Regelwerk des Betriebsrentenrechts unterlagen, widerspricht es der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung, die private Altersvorsorge beitragsfrei zu stellen. Auf die Einzahlungen des Bezugsberechtigten auf einen von ihm als Versicherungsnehmer fortgeführten Kapitallebensversicherungsvertrag finden hinsichtlich der von ihm nach Vertragsübernahme eingezahlten Beiträge keine Bestimmungen des Betriebsrentenrechts mehr Anwendung. Es begegnet auch keinen praktischen Schwierigkeiten, bei der Auszahlung einer Lebensversicherung den auf privater Vorsorge beruhenden Anteil des Zahlbetrags getrennt auszuweisen.

Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist vorliegend intensiv, weil die Beitragsbelastung mit dem vollen Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung erheblich ist. Ein Umgehungsproblem zulasten der Krankenversicherung der Rentner besteht nicht. Denn der Gesetzgeber des Betriebsrentengesetzes verfolgt mit dem Fortsetzungsrecht des Arbeitnehmers explizit den Zweck, einen Anreiz zur Eigenvorsorge in Ergänzung der betrieblichen Altersversorgung zu setzen.

Beschluss vom 6. September 2010
1 BvR 739/08; Beschluss vom 28. September 2010 1 BvR 1660/08

Herzlichen Glückwunsch dem erfolgreichen Kläger 1660/08, Herrn P., der nicht locker gelassen hat!!! Mögen alle Direktversicherten, die in hoffentlich naher Zukunft eine Rückerstattung der Kranken- und Pflegekassen zu erwarten haben, ihn in ihr Nachtgebet einschließen, oder, weil ihm das wohl nicht recht gefallen wird, sich zumindest an seinem Wissensdurst,seiner Zähigkeit und Ausdauer (und der Geduld seiner Frau) ein Beispiel nehmen!

Herr Teufel von der ADG rät: Das Verfassungsgericht hat das Verfahren zur endgültigen Entscheidung an das Bundessozialgericht (BSG) zurückverwiesen. Es könnte also sein, dass die Krankenkassen abwarten, bis das BSG entschieden hat.

Zwei Passagen aus dem BVerfG-Urteil sollten alle Betroffenen auf jeden Fall dazu veranlassen, mit Hinweis auf die Entscheidung (1 BvR 1660/08 vom 28.09.2010 des BUndesverfassungsgerichts) ihre Krankenkasse aufzufordern, den Beitrag entsprechend zu reduzieren und die zuviel gezahlten Beiträge zurückzuzahlen.

Entscheidung des BVerfG, Absatz 9:
Die vom Bundessozialgericht bei der Auslegung von § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V vorgenommene Typisierung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit sie dazu führt, dass Zahlungen aus Beiträgen, die der Versicherte nach Ende seines Arbeitsverhältnisses auf einen auf ihn als Versicherungsnehmer laufenden Kapitallebensversicherungsvertrag eingezahlt hat, als betriebliche Altersversorgung zu Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner herangezogen werden, obwohl der Gesetzgeber Erträge aus privaten Lebensversicherungen pflichtversicherter Rentner keiner Beitragspflicht unterwirft.

Absatz 15:
Soweit das Bundessozialgericht jedoch auch Kapitalleistungen, die auf Beiträgen beruhen, die ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit auf den Lebensversicherungsvertrag unter Einrücken in die Stellung des Versicherungsnehmers eingezahlt hat, der Beitragspflicht nach § 229 SGB V unterwirft, überschreitet es die Grenzen zulässiger Typisierung, weil sie sich dann nicht mehr von Leistungen aus privaten Lebensversicherungen von Arbeitnehmern unterscheiden, welche nicht der Beitragspflicht unterliegen. Der Gesetzgeber unterwirft Erträge aus privaten Lebensversicherungen bei pflichtversicherten Rentnern keiner Beitragspflicht. Zu dieser gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung setzt sich eine Rechtsprechung in Widerspruch, die Einzahlungen auf private Lebensversicherungsverträge allein deshalb der Beitragspflicht Pflichtversicherter unterwirft, weil die Verträge ursprünglich vom Arbeitgeber des Bezugsberechtigten abgeschlossen wurden und damit dem Regelwerk des Betriebsrentenrechts unterlagen, obwohl sie danach vollständig aus dem betrieblichen Bezug gelöst worden und ohne Probleme in einen betrieblichen und einen privaten Teil bei der Auszahlung zu trennen sind. Auf die Einzahlungen des Bezugsberechtigten auf einen von ihm als Versicherungsnehmer fortgeführten Kapitallebensversicherungsvertrag finden hinsichtlich der von ihm nach Vertragsübernahme eingezahlten Beiträge keine Bestimmungen des Betriebsrentenrechts mehr Anwendung.

-------

Die rechtlichen Möglichkeiten für normale Direktversicherungen, bei denen der Arbeitgeber Versicherungsnehmer war, sehe ich derzeit ausgeschöpft. Dagegen können die Betroffenen hoffen, deren Verträge zeitweise geändert wurden und die selber Versicherungsnehmer wurden.

Alle Betroffenen, welche eine Direktversicherung hatten, bei der zeitweise die Versicherungsnehmerschaft vom Arbeitgeber auf den Versicherten übertragen wurde, haben nach dem Urteilsspruch 1 BvR 1660/08 vom 28.09.2010 die Chance, zuviel bezahlte Beiträge zurück zu bekommen und ihre laufenden Beiträge anteilig anpassen zu lassen. Für derartige Direktversicherungsverträge brauchen nämlich nach der Auszahlung keine Beiträge zur KV und PV entrichtet werden.

Um dies zu erreichen lautet die Empfehlung:
Schreiben Sie Ihre Versicherung an und bitten Sie darum, den Anteil der Auszahlsumme Ihrer Direktversicherung zu berechnen, für den Sie als Versicherter auch Versicherungsnehmer waren. Dieser Teil ist nämlich nicht mehr der betrieblichen Altersvorsorge zuzurechnen und ist KV- und PV-beitragsfrei.
Teilen Sie das Ergebnis zusammen mit ihren Vertragsdaten und dem Hinweis auf des BVerfG-Urteil 1 BvR 1660/08 vom 28.09.2010 sowie der Bitte um Neuberechnung der laufenden Beitragslast (1/120stel nur für den betrieblich bedingten Anteil) und Rückzahlung der zuviel entrichteten Beiträge Ihrer Krankenkasse mit.

Inhaber von Direktversicherungen, die sich noch in der Einzahlphase befinden und die aufgrund von Insolvenzen Ihres Arbeitgebers, wegen Eintritt in die Altersteilzeit, wegen Ausscheiden aus dem Betrieb oder ähnlichen Ereignissen vor der Entscheidung stehen, ob sie Ihren Vertrag selber fortführen sollen, sollten prüfen, ob sie nicht eine Vertragsänderung dahingehend anstreben sollten, dass sie dann auch selber Versicherungsnehmer werden (Änderung der Police erforderlich). Dies schützt sie vor Verbeitragung eines Teils ihrer Direktversicherungsauszahlsumme.
Helmut Wiesmeth
hwlenting@t-online.de

Link: Direktversicherung: Verfassungsbeschwerde
Quelle: BVG