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Frau über 40 für Arbeitgeber kein Mensch

16.12.2009 - von G.M.

Ich bin eine Frau russischer Herkunft von 48 Jahren. Ich wurde 2000 eingebürgert. Mein russisches Informatik-Studium ist in Deutschland anerkannt. Ich habe gute Arbeitszeugnisse von zwei Arbeitsplätzen als Softwareentwicklerin, welche ich wegen Insolvenz und Umsatzrückgang verloren habe.

Im November 2006 habe ich nach 3,5 Jahren Arbeitslosigkeit und mehr als 1.000 erfolglosen Bewerbungen endlich einen Arbeitsplatz als Softwareentwicklerin gefunden.

Ich war die einzige und älteste Frau im Beschäftigungsbereich.
Meine männlichen Kollegen haben meine Situation so verstanden, dass ich alles machen werde, um den so mühevoll gefundenen Arbeitsplatz zu behalten. Sie mobbten mich und provozierten schließlich die Kündigung nach 3,5 Monaten.
Ich bat den Geschäftsführer um ein Gespräch - er legte mir die fertige Kündigung vor, ohne ein Wort mit mir zu sprechen. Der Projektleiter aber hatte mir die ganzen 3,5 Monate gesagt, dass er mit mir zufrieden ist. Ich habe auch selbst gesehen, dass meine Erfahrung der Firma vom Nutzen ist. Trotzdem wurde mir gekündigt - am internationalen Frauentag, 8. März 2007.

Ich habe meine Kündigungsschutzklage selbst mit der Hilfe von Rechtsliteratur begründet - die Kündigung weist - unter Berücksichtigung, dass es noch Probezeit war - mindestens fünf Unwirksamkeitsgründe auf.
Gleichzeitig habe ich Klage gemäss AGG wegen unmittelbarer Diskriminierung am Arbeitsplatz eingereicht.

Das Arbeitsgericht Hamburg hat beide Klagen abgewiesen ohne auf meine Erklärungen zu achten. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat mir Prozesskostenhilfe für Berufungen nicht bewilligt. Es hat mir auch nicht erlaubt, dass ich die Berufung selbst durchführe. Da ich nach der Kündigung ALG II bekomme, kann ich mir die bei den Landesarbeitsgerichten vorgeschriebene anwaltliche Vertretung nicht leisten. Die Prozesskosten-Ablehnung seitens des Landesarbeitsgerichtes ist völlig falsch. Der Beschluss ist aber unanfechtbar. Meine Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung angenommen worden.

Seit dem 8. März 2008 ist ein zulässiger Rechtsbehelf, Gegenvorstellung, gegen den PKH-ablehnenden Beschluss beim Landesarbeitsgericht Hamburg anhängig. Er wird ignoriert. Meine Dienstaufsichtsbeschwerden, auch an die Justizbehörde, waren erfolglos und werden teilweise ignoriert.
Ich habe beantragt, dass mir die Hamburger ARGE ein Darlehen für die Berufung in meiner Kündigungsschutzsache gibt. Die ARGE hat abgesagt. Auch das Sozialgericht Hamburg hat mein Begehren abgelehnt. Seit Juni 2009 ist die Sache beim Landessozialgericht anhängig - ohne Bewegung.Ich habe in Hamburg alle öffentliche Stellen wegen meines Problems angesprochen. Einschließlich der Bürgerschaftsfraktionen - SPD, CDU, Linke und GAL, sowie den Frauenverein der CDU. Bisher habe ich nur einen Hinweis bekommen, welcher eine noch von mir nicht ausprobierte Möglichkeit betrifft. Die GAL-Fraktion berichtete mir, dass es "Arbeitsstelle Vielfalt" seit Juli 2009 in Hamburg gibt. Das wußte ich nicht. Meine E-Mail ist aber nicht beantwortet worden, daher gehe ich dorthin selbst. Irgendwie muss ich das Landesarbeitsgericht Hamburg zur Tätigkeit in meiner Kündigungsschutzsache bewegen. Wenn solche Kündigungen, wie meine, erlaubt werden, dann kan man keinen Arbeitsplatz behalten.

Ich möchte noch über zwei Sachen berichten, die mit meiner Situation verbunden sind.
Zum einen geht es um den Anwaltszwang bei den Arbeitsgerichten. Genau deswegen "hängt" meine Kündigungsschutzsache seit mehr als zwei Jahren zwischen den Instanzen. Ich kann mit die bei den Landesarbeitsgerichten vorgeschriebene anwaltliche Vertretung nicht leisten kann, und Prozesskostenhilfe wird mir verweigert. Einige meiner Beschwerden gemäß AGG sind auch deswegen nur in erster Instanz, die ja anwaltsfrei ist, gelaufen.
Ich bin überzeugt, dass der Anwaltszwang aufgehoben werden muss. Zumindest bei den Landesarbeitsgerichten. Man sollte mindestens für Kündigungsschutzsachen den Zugang zur 2. Instanz sicherer machen. Man könnte analog den Gewerkschaften die Vertretung in Kündigungsschutzsachen den Arbeitsämten erlauben. Zumindest für die ALG II-Empfänger. Man könnte das auch für Entschädigungen gemäß AGG machen, und zwar so, dass Teil der Entschädigung an das AA geht. Der Staat leidet auch darunter, dass ein Bürger wegen Diskriminierung keine Lohnsteuer zahlt, sondern ALG II bekommt.
Meine Kündigung kostet dem Staat 1.800€ monatlich - bis zu meinem Rentenalter verliert der Staat 0,5 Mln €.
Ich habe die Änderung des §11 ArbGG vielmals beim BVerfG und Petitionsausschuss angeregt - erfolglos.

Zum anderen stammen meine Benachteiligungen auch daher, dass die IT-Branche zu 99% von Männern besetzt ist. Und zwar von solchen, die zum erheblichen Teil nicht Informatik studiert haben. Sie leisten keine hochqualitative Arbeit - das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Jeder Mann kann Softwareentwickler sein - Physik-Lehrer, Ingenieure für Maschinenbau, ohne jeglichen Abschluss. ... Sie sind mit den eigenen Berufen unzufrieden und laufen in die Informatik über. Da werden sie agressiv gegenüber den ausgebildeten Informatikern, weil sie Angst vor Konkurrenz haben. Meine Kollegen am letzten Arbeitsplatz meinten zum Beispiel, dass ich als Diplom-Informatikerin, keine Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Softwareentwicklung machen dürfte!
Es muss sich die gesellschaftliche Einstellung ändern. Ein Informatiker ist nicht unbedingt ein junger Mann, der verrückt auf eine Tastatur klopft. Ohne gutes Fachwissen erstellte Software ist fehleranfälliger und teurer. Das belastet alle Wirtschaftsbereiche, weil sie alle heutzutage auf die branchenbezogene Software angewiesen sind.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=3380
Quelle: Mail an die Redaktion