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Pensionskürzungen verfassungswidrig, Frauen Achtung

23.07.2008 - von Otto W. Teufel

Am 18.06.2008 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, das die anteilige Kürzung von Pensionen aufgrund von Teilzeitarbeit mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Artikel 3) nicht vereinbar ist. Dabei stützt sich das Bundesverfassungsgericht auf die Tatsache, dass Teilzeitarbeit überwiegend von Frauen ausgeübt wird, und damit eine mittelbare Diskriminierung von Frauen vorliegt.

In der Begründung heißt es unter anderem: Die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Norm ergebe sich aus dem Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz und Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz. Eine Anknüpfung an das Geschlecht liege auch vor, wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung überwiegend Frauen treffe und dies auf natürliche oder gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen sei. Die Regelung des § 14 Absatz 1 Satz 1 Halbsätze 2 und 3 Beamtenversorgungsgesetz beinhalte zumindest eine mittelbare Diskriminierung von Frauen, da der Prozentsatz der teilzeitbeschäftigten Beamtinnen in Relation zu ihrer Beschäftigtenzahl erheblich höher sei als der der teilzeitbeschäftigten Beamten insgesamt. Eine Rechtfertigung hierfür fehle. Zwingende Gründe für eine Ungleichbehandlung weiblicher Teilzeitbeschäftigter gegenüber Vollzeitbeschäftigten seien nicht gegeben. (Rn. 29 in Verbindung mit Rn. 41)
- Die Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach den Vorgaben des BeamtVG stellt eine mittelbar geschlechtsdiskriminierende Regelung im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz dar. Diese Diskriminierung kann nicht in verhältnismäßiger Weise durch sonstige Güter von Verfassungsrang gerechtfertigt werden. Die Vorschrift ist nichtig. (Rn. 46)
- Das Geschlecht darf grundsätzlich nicht zum Anknüpfungspunkt und zur Rechtfertigung für rechtliche Ungleichbehandlungen benachteiligender oder bevorzugender Art herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie - oder gänzlich - andere Ziele verfolgt. (Rn. 48)
- Wenn der Gesetzgeber eine Gruppe nach sachlichen Merkmalen bestimmt, die nicht in Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz genannt sind, so ist diese Regelung an Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz zu messen. Etwas anderes gilt, wenn der vom Gesetzgeber gewählte, durch Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz nicht verbotene sachliche Anknüpfungspunkt in der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitgehend nur für eine Gruppe zutrifft, oder die differenzierende Regelung sich weitgehend nur auf eine Gruppe im Sinne einer faktischen Benachteiligung auswirkt, deren Ungleichbehandlung nach Artikel 3 Abssatz 3 GG strikt verboten ist (mittelbare Diskriminierung). Eine Anknüpfung an das Geschlecht kann deshalb auch dann vorliegen, wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung überwiegend Frauen trifft und dies auf natürliche oder gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist. (Rn. 49)
- Unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen fiskalische Gründe in diesem Zusammenhang überhaupt einen Belang von Verfassungsrang darstellen, ist es nicht gerechtfertigt, zur Erreichung der Kostenneutralität der Beamtenversorgung gerade die überwiegend weiblichen Teilzeitbeschäftigten heranzuziehen. Bei arbeitsmarktpolitischer Teilzeit machen Frauen zudem von einer Möglichkeit der Beschäftigung Gebrauch, die ihnen auch im Interesse des Staates zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingeräumt wurde. Hierzu ist der Gesetzgeber schon vom Leitbild des vollzeitbeschäftigten Beamten abgewichen. Es ist nicht zu rechtfertigen, von denen, die von der so geschaffenen Möglichkeit Gebrauch machen, einen besonderen Beitrag zur Finanzierung dieses Systems zu verlangen. Die Schutzfunktion des Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz liefe ins Leere, wollte man das Verbot der Ungleichbehandlung von fiskalischen Erwägungen abhängig machen. (Rn. 60)
- Auch in den Fällen, in welchen eine Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeit aus familiären Gründen in Anspruch genommen wird, ist es nicht gerechtfertigt, die in dieser Weise tätigen Beamten mit einem Sonderbeitrag zur (Mit-)Finanzierung der Versorgungslasten des Gesamtsystems zu belasten. Die Einführung der familienpolitischen Teilzeit wurde als sozialpolitisch erforderlich angesehen, um die Bedingungen des Berufslebens an die veränderte Stellung der Frau in Familie und Beruf anzupassen und sie erfolgte im Hinblick auf den in Artikel 6 Grundgesetz garantierten Schutz von Ehe und Familie. (Rn. 61)
- Teilzeitbeschäftigte werden jedoch in den aufgezeigten Fällen bei gleicher ruhegehaltfähiger Dienstzeit schlechter gestellt als Vollzeitbeamte. Die Vermeidung einer vermeintlichen Besserstellung führt im Ergebnis zu einem Abschlag. Den Teilzeitbeamten wird zur Vermeidung ihrer vermeintlichen Besserstellung gleichsam ein Sonderopfer auferlegt, das sich als unverhältnismäßig darstellt. (Rn. 65)
- Zwar steht dem Gesetzgeber im Bereich der Beamtenbesoldung und -versorgung ein weiter Gestaltungsspielraum zu, so dass er grundsätzlich an den Umstand, dass der Teilzeitbeamte vom Leitbild des in Vollzeit tätigen Beamten abweicht, besoldungsrechtlich anknüpfen kann. Diese Gestaltungs- und Typisierungsbefugnis endet jedoch dort, wo sie sich geschlechtsdiskriminierend auswirkt. (Rn. 67)
- Das Leitbild des Vollzeitbeamten kann jedenfalls die in Kauf genommene Belastung der weit überwiegend weiblichen teilzeitbeschäftigten Beamten in der Versorgung sachlich nicht rechtfertigen. Dem stehen sowohl der weit reichende Schutzzweck des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als auch die Ziele, welche der Einführung von Teilzeitmöglichkeiten zu Grunde lagen, entgegen. Die durch den Versorgungsabschlag hervorgerufenen Nachteile werden auch nicht anderweitig kompensiert. (Rn. 72)
- Die Zulassung der Teilzeit aus familienpolitischen Gründen vollzog sich vor dem Hintergrund des Schutzes von Ehe und Familie.
Die verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichberechtigung von Mann und Frau auch hinsichtlich der möglichen Teilhabe am Arbeitsleben verpflichtet den Staat, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung familiärer Aufgaben nicht zu unverhältnismäßigen beruflichen Nachteilen führt. Dazu zählen auch rechtliche und tatsächliche Maßnahmen, die ein Nebeneinander von Erziehungs- und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile ermöglichen (Rn. 76)
- Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, den mit der Zulassung beamtenrechtlicher Teilzeitbeschäftigung unter anderem intendierten Schutz von Ehe und Familie durch finanzielle Nachteile im Bereich der Versorgung von Beamten teilweise wieder auszuhöhlen. (Rn. 77)

Anmerkungen: Die Sensibilität, die das Bundesverfassungsgericht auch in diesem Fall wieder für die Grundrechte von Beamten und Pensionären zeigt, würden wir uns auch im Rentenrecht wünschen. Denn im Gegensatz zur Rechtsprechung zur Beamtenversorgung hat das Bundesverfassungsgericht nach unserem Wissen in den vergangenen 30 Jahren keine einzige Entscheidung auf dem Gebiet der Altersrenten (Höhe und Anspruch) getroffen, in der nicht der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (im Volksmund politische Willkür) ein höherer Verfassungsrang zugesprochen wurde, als den elementaren Grundrechten von ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen.

Wer sich für das vollständige Urteil interessiert, findet es im Internet auf der BVerfG-Seite.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2662
Quelle: Aktion Demokratische Gemeinschaft e.V.