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Rentenerhöhung 2008 + 2009 umstritten

08.04.2008 - von Hanne Schweitzer

In einem waren sich die Medienmacher einig: Zur Illustration der Rentenerhöhung 2008 wählte jede Zeitung ein Foto, auf dem RentnerInnen auf einer Bank sitzend zu sehen sind. Mal zwei, mal vier, mal sechs, mal von vorne, mal von hinten, mal von der Seite, mal gespiegelt in einer Pfütze. Hauptsache Bank mit Alten drauf. Wir lernen: Rentnerbelange werden stets durch die Abbildung von RentnerInnen illustriert. Jüngere Menschen haben mit Rentenbelangen nichts zu tun.

Was ist passiert? Die Mitglieder der schwarz/roten Bundesregierung haben im März 2008 eine "Entlastung" der RentnerInnen beschlossen. Die Renten sollen statt um 0,46 Prozent ab Juli 2008 um 1,1 Prozent steigen. 20 Millionen Rentner sollen am Aufschwung teilhaben, titelte der Kölner Stadt-Anzeiger, und prompt warnte Arbeitsgeberpräsident Hundt die Bundesregierung vor der außerplanmäßigen Erhöhung. Die Wirtschaft lehne die "geplanten Wahlgeschenke" ab. Auch der Bankenverband, der wahrlich Grund hätte, still vor der eigenen Tür zu kehren, mischte sich in die Debatte ein. "Ein falsches Signal", das sei die außerplanmäßige Rentenerhöhung.

Was Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) Mitte März verkündete, löste im Blätterwald heftiges Rauschen aus. Markus Decker berichtete im Kölner Stadt-Anzeiger: "In Berlin herrscht Sorge vor einer Radikalisierung der Alten". Die Frankfurter Rundschau sprach gar von einem Blitzcoup. Das Wort Blitzcoup kommt im Wörterbuch nicht vor. Stattdessen liest man da: Wie ein Blitz aus heiterem Himmel, Blitzaktion, Blitzangriff, Blitzkrieg. Was uns die Frankfurter Rundschau mit ihrer Wortschöpfung vielleicht durch die blitzeblaue Blume andeuten wollte: Die von Scholz angekündigte Erhöhung, also die Teilhabe der RentnerInnen am Aufschwung ist nur dann möglich, wenn die Abgeordneten im Reichstag bis zum 1. Juli 2008 einer Gesetzesänderung bzw. der Aussetzung von Paragraf 68 im Sechsten Sozialgesetzbuch zustimmen. Paragraf 68 enthält die komplizierte Formel, mit deren Hilfe jedes Jahr die Rentenzahlungen berechnet werden. Bestandteil dieser Formel ist u.a. der von rot/grün eingeführte Riester-Faktor.
Er besagt, dass eventuelle Rentenerhöhungen um den Prozentsatz gekürzt werden müssen, den rentenversicherte Erwerbstätige maximal für eine staatlich geförderte private oder betriebliche Altersvorsorge (Riester-Rente) aufwenden müssen. Grundsätzlich steigen die Renten jedes Jahr zum 1. Juli so stark wie die Löhne im Vorjahr. Der Riester-Faktor reduziert den Rentenanstieg um rund ein halbes Prozent. Damit soll ausgeglichen werden, dass die Berufstätigen heutzutage privat vorsorgen müssen, um die politisch gewollte Reduzierung des gesetzlichen Rentenniveaus auszugleichen. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) begründet das Aussetzen des Riester-Faktors für zwei Jahre damit, dass er die Rentner am Aufschwung beteiligen wolle. Da die Lohnsumme im vergangenen Jahr trotz des hohen Wirtschaftswachstums aber nur geringfügig zugenommen hatte, wäre es ohne diese Ad-hoc-Maßnahme im Juli lediglich zu einer Mini-Anhebung der Renten um rund ein halbes Prozent gekommen.

Eine Begründung für die außerplanmäßige Erhöhung lieferte der stellvertretende Vorsitzende der Senioren-Union, Leonhard Kuckart: "Wenn in Zukunft nicht 50 Prozent der Senioren CDU wählen, dann wird die CDU nicht mehr regierungsfähig sein." Volker Kauder von der CDU meinte: "Besondere Belastungen erfordern besondere Antworten.“ Welche Belastungen gemeint sind?

Nun, davon gibt es wirklich reichlich: Die Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung um 0,25%; die Erhöhung des Beitrags zur Krankenversicherung im Sommer 08; die Inflationsrate von mehr als zwei Prozent; die Erhöhung der Energie- Sprit- und Lebensmittelpreise; die Erhöhung der Mehrwertsteuer, durch die den Rentnern ca. 270 Euro pro Jahr fehlen. Da hilft eine 1,1 prozentige Steigerung auch nicht weit.

Das war jedoch nicht Thema der Auseinandersetzung, die immer mehr in Richtung „Jung gegen Alt, Alt gegen Jung“ gedrückt wurde. Und weil Renten ein so wunderbar populäres Thema sind, stand das politische Personal – und nicht nur das - stramm mit dem Mikrofon vorm Maul. Bei Spiegel online - und nicht nur da – läuft eine Befragung mit dem Titel: Rentenerhöhung, wer soll das bezahlen? Tja, wer wohl? Wer zahlt Diäten, Ministergehälter, Verluste der Landesbanken? Wer zahlt die Einsätze der Bundeswehr?
Was für die RentnerInnen jetzt und im nächsten Jahr ZU VIEL aus dem Steuertopf genommen werden muss, soll später – was immer das heißen soll, wieder abgezogen werden. Später Nachholen, nannte es Minister Scholz. Zuerst sollte es sich um einen Betrag von ca. 1,2 Milliarden Euro handeln, dann nannte der Sprecher des Arbeitsministeriums, Giffeler, 2,5 Milliarden, also mehr als das Doppelte. Bis 2011 seien gar rund 9,1 Milliarden an Mehrkosten zu schultern. Giffeler bestritt zudem die Aussage seines Ministers, dass die kräftigeren Rentensteigerungen später nachgeholt würden. Selbstverständlich meldete sich auch der umtriebige neoliberale Herr Raffelhüschen zu Wort: Der Rentenbeschluss der Koalition belaste die Rentenversicherung mit fast 13 Mrd. Euro, meinte er im Auftrag der Stiftung Marktwirtschaft. Dabei ist klar: Zahlen werden die Rentenerhöhung diejenigen, die auch für die Diäten, Ministergehälter, Verluste der Landesbanken und die Einsätze der Bundeswehr aufkommen.

Für die Aussetzung des Riester-Faktors sprachen sich aus:

  • Der Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, SPD
  • Der CDU Fraktionschef Volker Kauder
  • Der CDU-Sozialpolitiker Peter
  • Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Senioren-Union, Leonhard Kuckart.
  • Der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Er nannte es sogar „abwegig“, einen Zusammenhang herzustellen zwischen der Rentenerhöhung und der Bundestagswahl 2009.
  • Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Ralf Brauksiepe (CDU)
  • DGB-Vize Annelie Buntenbach

  • Dagegen sprachen sich aus:
  • Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Rainer Wend. Er betrachtet die angedachte Rentenerhöhung als "eine Last": "Das geht auf Kosten der Jüngeren, die keine Chance haben, wegen der demografischen Entwicklung ein dem heutigen Rentenniveau vergleichbares Altersgeld zu erreichen."
    Wend erzählt Unsinn. Zum einen, weil Rentenansprüche keine Chance darstellen, sondern ein Recht! Zum anderen, weil Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne keine Folgen der demografischen Entwicklung sind. Und drittens, weil es ein vergleichbares Rentenniveau für die Jüngeren deshalb nicht gibt, weil Wend und seine BundestagskollegInnen im Jahr 2001 begeistert der Riesterschen Rentenreform zugestimmt haben. Deren Folge: Das Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung sinkt in den nächsten Jahren von rund 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoentgelts auf unter 50 Prozent. Mit dieser "REFORM" hatte die SPD/Grüne Bundesregierung den Einstieg in die kapitalgedeckte Rentenversicherung durchgesetzt. Und bei der sogenannten Riesterrente sogar noch mit Steuergeldern subventioniert.

  • CDU-Sozialexperte Jens Spahn: "Ich halte diese willkürliche Änderung der Rentenformel für falsch". Auch Daniel Bahr von der FDP kann sich nicht zurückhalten: Die Rentenerhöhung sei eine Hypothek auf die Zukunft.
  • Der Vorsitzende der Jungen Gruppe im Bundestag, Marco Wanderwitz (CDU)"Ich habe dazu Gesprächsbedarf in der Fraktion", meinte er. Sobald die Herrschaften aus dem CDU-Bundesvorstand und der Fraktion aus den Osterferien zurück in Berlin sein werden, also in der zweiten Aprilwoche, will der 1975 geborene, und damit auch nicht mehr taufrische, direkt gewählte Abgeordnete aus dem Chemnitzer Land, das Rententhema erst intern, dann medienwirksam, aber im Ansatz merkelfreundlich, zur Sprache bringen.
    Wanderwitz ist Mitglied des Deutschen Bundestages seit 2002 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Chemnitzer Land/Stollberg. Er ist Vorsitzender der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Fraktion, Mitglied im Fraktionsvorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Portugiesischen Parlamentariergruppe. Er ist Mitglied in den Ausschüssen *Kultur und Medien, *Recht, *Unterausschuss Neue Medien, *Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der rührige Senkrechtstarter Wanderwitz hat am 16.11.2007 der Diätenerhöhung zugestimmt und am 15.11.2007 der Verlängerung des sogenannten Anti-Terror-Einsatzes(OEF).
    Er ist stellvertretender Kreisvorsitzender der CDU Chemnitzer Land; Mitglied im Vorstand des Evangelischen Arbeitskreises Chemnitz/Chemnitzer Land;Mitglied im Vorstand der Kommunalpolitischen Vereinigung Chemnitzer Land/Zwickau/Zwickauer Land;ehrenamtlicher Stadtrat der Stadt Hohenstein-Ernstthal; ehrenamtlicher Verbandsrat des Zweckverbands "Am Sachsenring";ehrenamtliches stellv. Mitglied des Verbundausschuss des Städteverbund Sachsenring;Vorsitzender des Aufsichtsrats der Sachsenring-Rennstrecken-Management GmbH Hohenstein-Ernstthal
  • .

    Kleine Presserrundschau

    R. Bollmann und C. Füller in der TAZ:
  • ·"Der vorösterliche Renten-Handstreich".
  • ·"Die Angst vor den Rentnern".
  • "Das Kabinett hat in aller Eile eine Rentenerhöhung gebilligt. Bei der Generationengerechtigkeit hat sie es nicht eilig."
  • "Jungpolitiker wagen keinen Widerspruch mehr. Das erste Opfer, ist der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn (CDU)."
  • In der Papierausgabe der TAZ vom 8.4.08 wird außerdem das Foto eines bettelndes Mädchens als Beleg dafür gezeigt, wie arm die Jungen, und wie reich die Alten sind.

  • Dorothea Siems in der Welt:
  • "Die Anhebung sorgt für großen Unmut bei der jüngeren Generation, da sie eine Senkung des Rentenversicherungsbeitrags für längere Zeit unmöglich macht."
  • "Industriepräsident Jürgen Thumann findet den geplanten Eingriff in die Rentenformel "einfach nur populistisch" und warnt in der "Bild"-Zeitung davor, dass höhere Sozialabgaben Jobs gefährdeten.
  • "DGB-Vize Annelie Buntenbach möchte den sogenannten Riester-Faktor, der den Rentenanstieg dämpfen soll, nicht nur für zwei Jahre, sondern dauerhaft auszusetzen."
  • "Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt spricht von "Wahlgeschenken auf Kosten der Beitragszahler".

  • Guido Bohsem in der Süddeutschen Zeitung:
  • "Rache am jungen Nicht-Wähler"
  • "Die Volksparteien erhöhen die Renten auf Kosten jüngerer Beitragszahler."
  • "Der Zorn der Rentner lässt sich nicht durch den einprozentigen Anstieg ihrer Bezüge mildern, den sie jetzt für 2008 erwarten können. Dafür werden Oskar Lafontaine und die Linkspartei schon sorgen, die den wählenden Alten immer noch ein bisschen mehr anbieten."


  • Ein bißchen Friede, ein bißchen Rente ...

    Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=111
    Quelle: diverse