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Forschungsprojekt: Normen im demografischen Wandel

Foto: H.S.

26.06.2019

Zwischenergebnisse aus der Stakeholderbefragung
Die folgende Auswahl an Ergebnissen stammt aus einer Online-Befragung von 1682 gesellschaftlichen Stakeholdern aus unterschiedlichen Bereichen (Wissenschaft, Gesellschaft, Technikentwicklung und -herstellung, Wirtschaft, Politik und Verwaltung, Gesundheit, Pflege und Recht) aus ganz Deutschland mit Bezug zum Gesundheitswesen. Der dazu verwendete Fragebogen wurde in einem Dialog mit 80 inter- und transdisziplinär ausgewähl-ten Expertinnen und Experten entwickelt. Die Erhebung wurde im Rahmen des vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Forschungsprojekts „Normen im demographischen Wandel – Gesundheit und Krankheit, Solidarität und Gerechtigkeit“ durchgeführt, welches unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Christiane Woopen den Normenwandel im Gesundheitssystem der alternden Gesellschaft untersucht.

Solidarität mit pflegenden Angehörigen
Ein „Pflegegeld“, auf das pflegende Angehörige ähnlich wie Eltern beim El-terngeld einen unmittelbaren Anspruch haben, halten 88,6% (n = 1682) der befragten Stakeholder für wichtig. Während der allgemeine Pflegebedarf steigt, bleibt die starke Präferenz für Pflege im eigenen Zuhause durch Angehörige konstant. Gleichzeitig leisten immer noch vor allem Frauen den Großteil der Pflege. Dadurch sind sie oft nicht nur überproportional bean-sprucht, sondern auch in Einkommen und Rente benachteiligt. Lohnersatz-leistungen für pflegende Angehörige können gesellschaftliche Wertschät-zung ausdrücken sowie einen wesentlichen Beitrag zu mehr Gleichberechtigung in der Pflege und zur Stärkung der Pflege durch Angehörige leisten. Zunehmend pflegen darüber hinaus auch weitere Personen wie etwa Freunde und Nachbarn. Lohnersatzleistungen müssen demnach auch für diese Personengruppen gelten. So kann es gelingen, die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege und insgesamt eine breite Pflegebereitschaft zu erreichen.

Die Forderung nach frühzeitiger professioneller Unterstützung von pflegenden Angehörigen in häuslichen Pflegearrangements halten 67% der befragten Stakeholder für wichtig. Diese Forderung trägt der psychosozialen Über-lastung pflegender Angehöriger Rechnung. Frühzeitige Unterstützung könnte deren erhöhte Krankheitsanfälligkeit durch die hohe Belastung ver-hindern. Zusätzlich können unnötig frühe Umzüge der Pflegebedürftigen in Pflegeheime vermieden werden. So kann einerseits dem häufigen Wunsch Pflegebedürftiger, zuhause gepflegt zu werden, entsprochen werden. Zu-dem kann es durch die frühzeitige Einbettung professioneller Unterstützung am ehesten gelingen, stabile Pflegearrangements für die Zukunft zu schaffen.

Kommunen in der Verantwortung
Die kommunale Unterstützung bei Lebensübergängen, z. B. in die Hilfs- und Pflegebedürftigkeit, wird von 87% der Stakeholder als wichtig angesehen. Des Weiteren erhält die Forderung nach Hausbesuchen bei älteren Menschen zur frühzeitigen Erkennung von Beeinträchtigungen der Eigenständigkeit 75,8% Zustimmung. Über die besondere Kompetenz und Verantwortung für die gesundheitliche Daseinsvorsorge auf kommunaler Ebene herrscht weitestgehend Konsens. Kommunen sind ein wichtiger Partner für das Angebot und die Koordination bedarfsgerechter Gesundheitsleistungen. Die Stakeholderbefragung konkretisiert die kommunale Verantwortung durch den Fokus auf Lebensübergänge in die Hilfs- und Pflegebedürftigkeit sowie auf die Wichtigkeit von (auch präventiven) Hausbesuchen bei älteren Menschen zur frühzeitigen Erkennung von Beeinträchtigungen der Eigenständigkeit

Prävention für Hochaltrige
Eine flächendeckende Prävention für Hochaltrige halten 54,7% der Stakeholder für wichtig. Damit findet diese Forderung mehrheitlichen Zuspruch. Gleichzeitig fällt der Grad der Zustimmung vor dem Hintergrund der Allgegenwärtigkeit des Themas Prävention in unserer Gesellschaft des längeren Lebens geringer aus als bezogen auf andere Bevölkerungsgruppen. Prävention für hochaltrige, chronisch erkrankte Menschen scheint ein vernachlässigtes Thema im deutschen Gesundheitssystem zu sein. Eine mögliche Erklärung: Die Sozialversicherungen, aus denen ein Großteil präventiver Maßnahmen finanziert wird, haben primär die Produktivitätserhaltung zum Ziel. Möglicherweise sind auch negative Alter(n)sbilder eine Ursache. Eine weitere Erklärung ist ein zu enger Gesundheitsbegriff, der sich nur an den Zielen der Heilung und der Krankheitsvermeidung orientiert. Hochaltrige, die oft chronisch und mehrfach erkrankt sind, finden darin zu wenig Berücksichtigung.

Ein weiterer Gesundheitsbegriff sollte neben Heilung und Krankheitsvermeidung auch die Ziele der Erhaltung von Selbstständigkeit, Lebensqualität und gesellschaftlicher Teilhabe für alle Menschen beinhalten.

Zum Forschungsprojekt
Das Forschungsprojekt „Normen im demographischen Wandel – Gesundheit und Krankheit, Solidarität und Gerechtigkeit (NoWa)“ untersucht den Normenwandel im Gesundheitssystem der alternden Gesellschaft. Leitung und Koordination liegen bei ceres, dem Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health.

Maßgeblich erarbeitet und umgesetzt wurde die Onlinebefragung vom IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technikfolgenabschätzung in Berlin. Weiterhin beteiligt waren das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe (ITAS) und als beratende Praxispartner die Bundesarbeitsgemeinschaft der SeniorenOrganisationen e.V. (BAGSO), die Diakonie Deutschland sowie der Deutsche Caritasverband e.V.

Normen im demographischen Wandel – Zwischenergebnisse aus der Stakeholderbefragung
Projektleitung:
Prof. Dr. med. Christiane Woopen
Projektpartner:
IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Praxispartner:
Deutscher Caritasverband e.V.
Diakonie Deutschland e.V.
Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V.
Fördernde Institution:
Bundesministerium für Gesundheit
Stand:
Juni 2019

Kontakt:
Peter Bröckerhoff, M.A.
+49 (0) 221 470-89122
peter.broeckerhoff@uni-koeln.de
Florian Wieczorek, M.Sc.
+49 (0) 221 470-89119
florian.wieczorek@uni-koeln.de
Michaela Evers-Wölk, M.A.
+49 (0) 30 80 30 88-23
m.evers-woelk@izt.de
Dr. Bettina-Johanna Krings
+49 (0)721 608-26347
bettina-johanna.krings@kit.edu
ceres – Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciencesof Health
Universitätsstr. 91
50931 Köln
IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung
Schopenhauerstr. 26
14129 Berlin
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Postfach 3640
76021 Karlsruhe

Quelle: ceres – Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciencesof Health